Film über Ermordung polnischer Offiziere: Die Diskussion ist in Gang gekommen

Kurz nach der Flugzeugkatastrophe von Smolensk wiederholte das Staatsfernsehen den Film "Katyn" über die Ermordung tausender polnischer Offiziere.

Zeremonie zum Gedenken an das Katyn-Massaker in Warschau 2008. Bild: dpa

Als vor drei Jahren der Film "Katyn" des polnischen Regisseurs Andrzej Wajda herauskam, war an eine Ausstrahlung beziehungsweise Vorführung im russischen Fernsehen oder Kino überhaupt nicht zu denken. Zwar war der Film in Russland nicht offiziell verboten, doch herrschte ein ungeschriebenes Verbot. Der Film sei kommerziell kein Erfolg, hieß es vonseiten der Kinobetreiber, wenn man nachfragte, warum der Film nicht zu sehen war. Wer ihn trotzdem anschauen wollte, musste sich im Internet eine Raubkopie beschaffen oder eine der wenigen Veranstaltungen von Nichtregierungsorganisationen besuchen, die trotz allem wagten, den Film zu zeigen. Der Grund für diese Angst vor einer breiten Öffentlichkeit lag auf der Hand: Bei der Beschreibung der Ereignisse von Katyn wurde der sowjetische Geheimdienst in einer Weise dargestellt, wie es den Nachfolgern kaum recht sein konnte.

Dem großen Publikum vorgestellt wurde der Film dann ausgerechnet vom staatlichen russischen Fernsehen WGTRK, der Allrussischen Staatlichen Radio- und Fernsehgesellschaft, und zwar zwei Wochen vor der Flugzeugkatastrophe von Smolensk. "Die Entscheidung, den Film zu zeigen, kann nur ganz oben getroffen worden sein", behaupten unisono die russischen Politologen. "Und das wiederum bedeutet in der Konsequenz, dass man sich ganz oben für eine Annäherung an die polnische Position entschieden hat."

Vor nicht allzu langer Zeit waren sich die Gegner des Films in seiner Bewertung einig gewesen: Dieser würde eine negative Sicht auf Russland fördern, er zeige die sowjetischen Geheimdienstler als gnadenlose und gewissenlose Mörder.

"Der Film ist überhaupt nicht antirussisch. Er ist sehr wichtig für die Russen, sogar noch wichtiger als für die Polen", äußerte sich hingegen Nikolaj Swanidse, einer der bekanntesten russischen Fernsehmoderatoren, nachdem er sich den Film hatte ansehen können. Den Polen, so Swanidse, sei ja das ganze Ausmaß der Ereignisse von Katyn im Gegensatz zu den Menschen in der Sowjetunion und dem heutigen Russland schon lange klar, hatte man doch dort wie in anderen Ländern die Dokumente zu Katyn nicht unter Verschluss gehalten. Jetzt, so Swanidse, sei es an den Russen, die Mauern des historischen Nichtverstehens zu durchbrechen.

Nur einen Tag nach dem Tod des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski auf dem Weg nach Katyn nahm Russlands wichtigster Fernsehsender, das erste Programm, das allgemein als Sprachrohr des Kremls gilt und ebenfalls dem WGTRK gehört, für viele völlig unerwartet den Film "Katyn" von Andrzej Wajda ins Programm. Daraufhin entbrannte eine Diskussion, die zeigt, wie grundlegend sich in kürzester Zeit die Haltung vieler Russen zu den Ereignissen von Katyn gewandelt hat. "Ich bin erschüttert von diesem Film und gleichzeitig hingerissen. Eines ist mir dabei klar geworden: Alle bolschewistischen, stalinistischen und faschistischen Verbrechen haben einen gemeinsamen Kern", erklärte Hörer Konstantin im Radiosender Echo Moskau.

"Ich habe schon viel über den Film von Wajda gehört", sagte die Journalistin Tatjana Trojanskaja. "Als ich mir diesen Film ansah, wollte ich nicht nur über die Ereignisse, die mir weitgehend bekannt sind, informiert werden, sondern auch in die Atmosphäre jener Zeit eintauchen, die so schrecklich für das polnische Volk war. Dies beim Zuschauer zu bewirken, ist ja der Sinn von Kunst. Leider hat der Film lediglich die Ereignisse an sich wiedergegeben. Trotzdem bin ich froh darüber, dass der Film nun einem breiten Publikum zugänglich ist und dass wir auf diese Weise mehr über diese Ereignisse erfahren haben."

"Der ganze Schrecken und die ganze Grausamkeit von Katyn, all das wurde nun endlich in einem der zentralen Fernsehkanäle gezeigt. Somit hat der Film eine maximal mögliche Zuschauerschaft erreicht", schrieb ein Moskauer in seinem Internetblog. "Es gibt immer noch sehr viele Menschen, die bestimmte Dinge erst glauben, wenn sie sie im Fernsehen gesehen haben." Ein anderer Blogger notierte: "Irgendwie habe ich eigentlich nur durch Zufall in ,Katyn' hineingeschaltet. Der Film hat mich geschockt. Der ganze Zynismus, die ganze Verhöhnung der menschlichen Existenz, was sich da abgespielt hat, war Mord am Fließband. Es ist schrecklich. Wie weit kann der Mensch nur sinken in seiner Gleichgültigkeit!"

Nach der Ausstrahlung des Films im zentralen russischen Fernsehen hat sich die Einstellung der Russen zu den Geschehnissen in Katyn 1940 verändert. Diesen Wandel im gesellschaftlichen Denken belegt noch ein weiterer Umstand: Die öffentliche Meinung in Russland wird doch zu einem wesentlichen Teil von den Medien geprägt, die vom Kreml kontrolliert werden. Anders gesagt: Unter gewissen Umständen ist eine liberale Diskussion im Russland von heute durchaus möglich.

Aus dem Russischen: Bernhard Clasen

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.