Kommentar: Polen unter Druck
■ Innenminister Manfred Kanther kämpft jenseits der Ostgrenzen
Die Einladung des polnischen Innenministers Janusz Tomaszewski kommt für Manfred Kanther zur rechten Zeit. Schließlich gilt es kurz vor der Bundestagswahl, sich als engagierter Kämpfer gegen Schleuser, importierte Kriminalität und illegale Eindringlinge an der Ostfront zu profilieren. Das Bonner Ansinnen, den Bundesgrenzschutz künftig jenseits der Oder auch bewaffnet patrouillieren zu lassen, ist dabei nur ein Tagesordnungspunkt unter dem unverbindlich klingenden Label „Schlepperunwesen und ein deutsch- polnisches Aktionsprogramm zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität“. Wobei die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage denn dieser aktive Erfahrungsaustausch stattfinden soll, wohl vorerst Kanthers Geheimnis bleibt.
Es geht der Bundesregierung um nichts anderes als darum, Grenzen mit allen Mitteln dichtzumachen. Die Zugeständnisse der polnischen Seite sind für Bonn nur konsequent. Schließlich – und diese Drohung schwingt bei Kanthers Visite unüberhörbar mit – wollen die Polen ja in die Europäische Union. Die Botschaft dürfte in Warschau angekommen sein. Denn die Verantwortlichen dort haben längst gemerkt, daß der ersehnte EU-Beitritt nicht nur mit positiven Wirtschaftsdaten zu haben ist. Die EU-Reife bemißt sich eben auch nach anderen Kriterien, die Preise dafür diktiert Bonn.
Was passiert, wenn sich dennoch Widerspruch regt, durften kürzlich die Tschechen erfahren. Äußerungen von Regierungschef Miloš Zeman über die Präsenz von Sudetendeutschen im deutsch-tschechischen Gesprächsforum kommentierte Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber mit dem Hinweis, man müsse Tschechiens anvisierte EU-Mitgliedschaft noch einmal überdenken.
Die Aussicht, die so geschätzten Freunde könnten die Fahrkarte für den Zug nach Europa doch noch stornieren, wird die Polen ganz im Sinne Bonns handeln lassen. Jetzt in vorauseilendem Gehorsam und auch später, nach dem Beitritt. Schon jetzt geht in der Ukraine die berechtigte Angst um, künftig draußen zu bleiben. Daß damit vielen Ukrainern, die in Polen arbeiten oder nur dank des kleinen Grenzverkehrs ihr Auskommen sichern können, die Existenzgrundlage entzogen wird, kümmert Bonn nicht. Und in einigen Jahren wird das auch Polen egal sein. Barbara Oertel
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