Polen protestieren gegen Putin: Einfach mehr Apfelwein trinken
Mit Witz und Bauernschläue wehren sich die Polen gegen das russische Embargo. Doch die Obst- und Gemüsebauern des Landes leiden.
WARSCHAU taz | Wladimir Putin wehrt mit beiden Händen Apfelreste ab, mit denen ihn Polen schadenfroh bombardieren. Schweine, die als Sonntagsbraten auf russischen Mittagstischen landen sollten, jubeln überglücklich: „Hoch lebe die Ukraine!“ Und selbst Säufer auf den Parkbänken trinken nur noch Cidre und Apfelwein: „Na zdrowie, das Vaterland ruft!“
Seit Russland als Reaktion auf die Wirtschaftssanktionen der EU und der USA ein Importverbot für Obst, Gemüse, Fleisch und Milchprodukte aus dem Westen verhängte, haben die Karikaturisten in Polen alle Hände voll zu tun. Der Aufruf des polnischen Wirtschaftsblatts Puls Biznesu „Wischt Putin eins aus! Esst Äpfel“ war eigentlich nur als Glosse gedacht. Daneben publizierte das Blatt tiefschürfende Analysen – und ein patriotisches Rezept „Polnische Ente mit Apfel“.
Die Idee machte Karriere. Innerhalb kürzester Zeit schlossen sich Politiker, Künstler und Intellektuelle der Aktion an und publizierten auf sozialen Netzwerken wie Facebook Selbstporträts oder „Selfies“ mit Apfel. Auch Polens Präsident Bronislaw Komorowski ließ es sich nicht nehmen, mit einem Korb voll knackiger Äpfel aufzutreten.
Plantagenbesitzer lachen nicht
Doch vielen Besitzern der riesigen Apfelplantagen in Südostpolen ist nicht zum Lachen zumute. Einer der Hauptabsatzmärkte für polnisches Obst und Gemüse war bislang Russland. Im letzten Jahr lag die Apfelernte auf Rekordniveau. Mit über 3 Millionen Tonnen Äpfel ist Polen zum EU-Marktführer aufgestiegen. Zwar bleibt ein Großteil der Äpfel im Lande, dient dem Verzehr, der Saft- und Cidre-Produktion. Doch jeder dritte polnische Apfel – über eine Million Tonnen – wurde nach Russland exportiert. Bislang war Russland Polens größter Handelspartner im Osten. Laut dem Wirtschaftsministerium exportierte Polen 2013 Waren im Wert von knapp 11 Milliarden US-Dollar nach Russland. Im Lebensmittelsektor stand Russland 2013 an dritter Stelle – nach Deutschland und Großbritannien.
Wollten die Polen den Importstopp für polnische Äpfel tatsächlich durch erhöhten Eigenkonsum wettmachen, müssten sie ihren jährlichen Apfelkonsum von 15 Kilo auf 30 Kilo pro Kopf steigern, rechnete die linksliberale Gazeta Wyborcza aus. Doch betroffen vom Importstopp sind ja nicht nur Äpfel, sondern auch polnische Birnen, Kirschen, Pflaumen, Mirabellen sowie Gemüse, Fleisch und Milchprodukte.
Doch während Polens Landwirtschaftsminister Marek Sawicki auf Entschädigung der Bauern durch die EU pocht und sogar Lebensmittel an „Bedürftige in Afrika“ verschenken will, denken Polens Bauern längst über Alternativen nach. Am einfachsten wäre es, die vom Embargo betroffenen Lebensmittel an neutrale Drittländer zu liefern, die dann – ohne Wissen von Polen und Russen – die Produkte zu heimischen umetikettieren und an Russland verkaufen würden. In Weißrussland könnten bald Milch und Honig fließen, spekulieren Polens Bauern. Das Embargo sei die große Stunde von Präsident Alexander Lukaschenko.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht