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Polen im Sumpf der Gelatine

Der polnische Gelatine-König hat der Regierung ein Importverbot für die glibbrige Masse aus dem Ausland abgeluchst. Sein Monopol nutzt er weidlich aus  ■ Aus Warschau Gabriele Lesser

In Polen bahnt sich eine Regierungskrise an, und die Ursache sind Wackelpudding, Gummibärchen und Fisch in Aspik. Sie nämlich, so hatte Kazimierz Grabek gefordert, sollen in Zukunft nur noch aus polnischer Gelatine hergestellt werden. Grabek ist der einzige Produzent von Gelatine in Polen. Und tatsächlich: Ende vergangenen Jahres verbot die polnische Regierung die Einfuhr ausländischer Gelatine nach Polen.

Für Grabek ist dies ein gutes Geschäft. Der „Gelatine-König“ kann nun die Preise diktieren und sein Imperium ausbauen. Allerdings fragen sich nun immer mehr Polen, ob das Verbot des Gelatine- Imports sie tatsächlich vor dem Rinderwahnsinn und der damit verbundenen neuen Variante der Creutzfeld-Jacob-Krankheit schützen kann. Damit nämlich begründete die Regierung das Verbot des Gelatine-Imports. Der Verdacht, daß die Politiker sich weniger für die Gesundheit der Bevölkerung denn für das eigene Portemonnaie interessierten, verstärkt sich jedoch. Auf Druck der Medien will die Regierung nun unabhängige Gutachter beauftragen. Sie sollen klären, ob die im Ausland produzierte Gelatine tatsächlich gefährlicher ist als die in Polen hergestellte. Dann erst soll eine neue Entscheidung getroffen werden.

Die größte polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza hat inzwischen aufgedeckt, daß das Thema Gelatine seit 1993 immer wieder auf die Tagesordnung der polnischen Ministerratssitzungen geriet. Einmal sollte der Export von Rinderspalthäuten per Gesetz verboten, ein anderes Mal die Überschwemmung des polnischen Marktes mit billigem Knochenbrei aus dem Osten verhindert werden. Zuletzt war es die Gesundheit der Polen, die als Begründung für das Verbot des Gelatine-Imports herhalten mußte. Nutznießer all dieser Regierungsüberlegungen ist Kazimierz Grabek.

Ginge es nur um Schweinesülze und Hering in Aspik, würde niemand ein Aufhebens um die Gelatine machen. Doch Gelatine findet sich in den meisten Lebensmitteln, in vielen Säften, in Wein, in Dragees und Vitaminkapseln, in Cremes und in Farbfilmen. Der polnische Markt verbraucht jährlich rund 7.000 Tonnen Gelatine. Dies entspricht einem Wert von 40 bis 50 Millionen Dollar. Während auf dem Weltmarkt Gelatine zum Kilopreis von sieben bis acht Mark gehandelt wird, kostet das Kilo in Polen rund elf Mark. Kein Wunder, daß der polnische Monopolist an einem Einfuhrverbot der preisgünstigeren Gelatine interessiert war.

Durch das seit Ende Dezember geltende Gelatine-Einfuhrverbot fällt ihm nun der gesamte Markt zu. Grabek ist der fünftgrößte Gelatine-Produzent der Welt. Sein Vermögen wird auf über 100 Millionen Dollar geschätzt, der jährliche Umsatz seines Firmenkonsortiums auf über 40 Millionen Dollar. Kein anderes Land der Welt hat ein so weitgehendes Gelatine-Importverbot verhängt wie Polen. Allerdings können nach wie vor Produkte eingeführt werden, die im Ausland aus Gelatine hergestellt wurden. Das Argument, die Bevölkerung vor BSE schützen zu wollen, ist damit hinfällig. Darüber hinaus hat sich Kazimierz Grabek bislang geweigert, seine Bezugsquellen für Rinderspalthäute und Knochen, aus denen Gelatine hergestellt wird, offenzulegen. Es ist in Polen nicht verboten, diese Produkte aus der Ukraine einzuführen. Doch auch dort ist es im letzten Jahr zu einigen Fällen von Rinderwahnsinn gekommen.

Offene Klage führt auch der in Polen größte Verbraucher von Gelatine, das Pharma-Unternehmen Polfa in Posen. Die von Grabek angebotene Gelatine sei nicht nur wesentlich teurer als die in Westeuropa produzierte, die Qualität lasse auch zu wünschen übrig. Wahrscheinlich müsse die Produktion von Arzneimittelkapseln eingeschränkt werden.

Auf der Suche nach dem Initiator für das Gesetz, dem so deutlich der Geruch der Korruption anhängt, haben die polnischen Journalisten intensive Bekanntschaft mit dem Sankt-Florians-Prinzip gemacht. Jeder der befragten Minister sagte dasselbe: „Nicht ich, mein Kollege war es.“ Bis heute konnte der für das Gesetz verantwortliche Minister nicht gefunden werden.

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