Polcanova dominiert Tischtennis-EM: Vom Keller bis nach ganz oben

Der Weg von Sofia Polcanova zum EM-Titel ist außergewöhnlich. Vor ihrem Umzug nach Österreich trainierte sie unter schwierigsten Umständen.

Sofia Polcanova schaut beim Ballwechsel konzentriert auf den Tischtennisball

Zweifache Europameisterin: Nach ihrem Doppelerfolg ist Polcanova auch im Einzel hochkonzentriert Foto: Patrick Steiner/imago

Dass Sofia Polcanova am Sonntagnachmittag das letzte Spiel der Tischtennis-Europameisterschaften bestritt, war nur folgerichtig. Keine der 260 Starterinnen und Starter spielte in den elf Wettkampftagen im Tischtennis häufiger, niemand spielte erfolgreicher. Die Österreicherin war das Gesicht der Wettbewerbe, die im Rahmen der European Games in der Rudi-Sedlmayer-Halle ausgetragen wurden. Nach Bronze im Mixed und Gold im Doppel folgte im Schlussakt die Krönung: der Sieg im Einzel. Ihre deutsche Finalgegnerin Nina Mittelham musste im Endspiel mit Schulterproblemen aufgeben. „Ich bin zweifache Europameisterin. Es wird dauern, bis das einsinken wird“, sagte Polcanova nach einem Endspiel, bei dem sie nach einer 2:0-Satzführung plötzlich als Siegerin gekürt wurde.

Polcanova ist eine Ausnahme­erscheinung im Welttischtennis. Dazu machen sie allerdings weniger Erfolge wie nun in München – sondern ihr Werdegang. Die groß gewachsene Linkshänderin wurde 1994 in der Republik Moldau geboren. In der Hauptstadt Chișinău nahm sie die ersten Schritte ihrer Karriere unter Bedingungen, wie sie mit den führenden europäischen Leistungszentren in Düsseldorf, Paris oder Halmstad, in denen viele ihrer heutigen Gegnerinnen ausgebildet wurden, nicht im Entferntesten zu vergleichen sind. „Ich habe in einem Keller in einer Schule trainiert“, erzählt Polcanova.

Es habe dort weder Wasser noch eine funktionierende Heizung gegeben, nicht mal eine Umkleide. Auch sonst erhielt Polcanova keine Förderung, trainiert wurde sie von ihrem Vater. Um ihre Profikarriere anzustoßen, verließ sie ihre Heimat. Sie zog im Alter von 14 Jahren nach Linz – ohne Familie. „Ich will mich mit niemandem vergleichen. Jeder Sportler geht seinen eigenen Weg, hat andere Hindernisse“, sagte Polcanova nach ihrem Triumph von München. „Aber natürlich habe ich einen schwierigen Weg gehabt, um heute hier zu stehen.“

In Österreichs Tischtennis-Hochburg an der Donau wurde die mittlerweile 27-Jährige schnell eine der besten Spielerinnen des Landes, nahm 2010 die Staatsbürgerschaft an und spielte sich im österreichischen Nationaltrikot in Europas Spitze. Zwischenzeitlich war Polcanova die beste Nicht-Asiatin in der Weltrangliste, ehe Verletzungen an Hüfte und Knie ihrem Aufstieg eine Delle versetzten. Erst seit vergangenem Jahr ist sie körperlich wieder voll belastbar, was sie in München mit einem gigantischen Pensum unter Beweis stellte. Das Endspiel im Einzel war ihr 15. Spiel innerhalb von neun Tagen.

Sieben-Satz-Spektakel

Nachdem sie im Mixed zum Start der Wettbewerbe noch im Halbfinale ausgeschieden war, holte sie vergangenen Donnerstag zunächst den Titel im Doppel. Mit der quirligen Rumänin Bernadette Szöcs zählt sie zu den besten Doppeln der Welt, in München verlor das ungleiche Duo keinen einzigen Satz. Ihr erster großer internationaler Titel gab Polcanova spürbar Auftrieb für die Einzelwettbewerbe.

Zum Leidwesen der deutschen Frauen. Am Samstag beendete Polcanova das Turnier für eines der Gesichter der Munich-2022-Kampagne: In einem Sieben-Satz-Krimi schaltete die Österreicherin im Halbfinale die Bayerin Sabine Winter aus. Die Partie war das größte Spektakel der gesamten Tischtennis-Wettbewerbe. Am Sonntag profitierte Polcanova von der Aufgabe Mittelhams, die sich unmittelbar vor dem Endspiel am Schlagarm verletzt hatte. „Ich wollte den EM-Titel holen, aber natürlich ich wollte ihn nicht so holen“, sagte die starke Aufschlägerin mit der wuchtigen Vorhand.

Bei den Europameisterschaften war Polcanova nicht nur wegen ihrer Erfolge eine gefragte Gesprächspartnerin. Mit ihrer Unterstützung wurde vor einem Jahr die erste Tischtennishalle in Chișinău eröffnet. Als sie erfahren habe, dass sich auch mehr als zehn Jahre, nachdem sie ihre Heimatstadt verlassen hatte, noch immer nichts an den Möglichkeiten, Tischtennis zu spielen, verändert hatte, habe sie den Entschluss gefasst, das zu ändern. Heute spielen Kinder, Hobbyspieler und die Nationalmannschaften des Landes in der „Polcanova-Halle“.

Die Namensgeberin hatte für die Renovierung unter anderem eine Spendenkampagne angestoßen. „Mich haben hier in München unglaublich viele Menschen auf mein Projekt angesprochen“, erzählt Polcanova. Sie nahm sich Zeit für jedes Gespräch. „Ich freue mich immer, wenn ich davon erzählen kann. Mein Weg war schwer. Ich will, dass es andere Menschen weniger schwer haben“, sagt Polcanova. Umso erstaunlicher ist, dass der Weg Sofia Polcanova in München dennoch auf Europas Tischtennis-Thron führte.

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