Point 'n' Click: Gänsehaut marsch!
■ „Zork: Nemesis“, ein Adventure mit Zugang zur Gutenberg-Galaxis
Im Anfang war die Textwüste pur. Die ersten Computer-Adventures in den frühen achtziger Jahren sahen dem befehlszeilengestützten Betriebssystem DOS gar nicht mal unähnlich: Beide Programme entfalteten sich als fortgesetzter Dialog zwischen User und Software. Sogar die zur Steuerung der internen Abläufe verwendeten Imperativkommandos ähnelten sich: hier „format a:“ und „delete *.txt“, dort „get sword“ und „kill troll“. Jenseits lakonischer „drive not ready“ – oder „file not found“-Rückmeldungen funktionierte ein Textadventure als verspielte Rückseite „seriöser“ DOS-Routine(n). Die Verwaltung von Festplatte und „Great Underground Empire“ unterschied sich gewissermaßen allein in der Art des gelieferten Feedbacks: Jede Eingabe, so das Versprechen eines Textadventures, zaubert ein Stück originäre Prosa auf den Screen.
Schon seltsam, wie rasch und vollständig ein Genre seine Wurzeln kappen kann. Da genügt die Verheißung, viele, viele bunte (und bewegte) Bilder auf ein halbes Dutzend Silberschuben brennen zu können, schon sind alle Grundtugenden eines Adventures – interessante Story, witzige Anspielungen, originelle Puzzles – weitgehend vergessen. Es ist, als glaubten die Designer sogenannter „interactive films“, daß das um den Faktor X mal 1.000 gesteigerte Mehr an Daten den Spielspaß quasi automatisch in astronomische Dimensionen schnellen ließe. Davon kann aber keine Rede sein, solange die Bilderflut nur dazu dient, Schwachstellen des Gameplays zuzukleistern. Paradebeispiel hierfür ist Virgins „The 11th Hour“: Das auf den ersten Blick reizvolle Spukhausambiente wird durch reichlich unausgegorene Puzzles, die altbekannte Denksportaufgaben neu aufwärmen, fahrlässig verschenkt.
Rühmliche Ausnahmen wie das 1993 erschienene „Myst“ und das jüngst veröffentlichte „Zork: Nemesis“ umgibt dann gleich ein Hauch von Kult. Bei beiden Programmen scheinen sich die Designer immerhin Gedanken darüber gemacht zu haben, was durch die technologische Aufrüstung an spielerischem Gehalt verlorengehen könnte. So in Sachen vereinfachter Benutzerführung: Wenn bei Fullscreen-Grafikadventures nur noch auf ein Element in der Grafik geklickt werden muß, wodurch automatisch eine „sinnvolle“ Aktion ausgelöst wird, bedeutet das erst mal eine Reduktion der Eingriffsmöglichkeiten innerhalb der vorgestellten virtuellen Welt. Durch diese userfreundliche Spielsteuerung wird es schwierig, innovative Puzzles zu kreieren, denn womöglich ist der Spieler auf Dauer nicht damit zufrieden, immer nur irgendwelche Hebel zu betätigen und Knöpfchen drücken zu können.
Etwas spannender wird das Ganze bereits, wenn man in „Zork“ – ähnlich wie in „Myst“ – mit bizarren Maschinen und seltsamen Apparaturen konfrontiert wird, deren Sinn und Zweck man durch try-'n'-error herausfinden muß. Aus solchen Maschinenrätseln kombiniert „Zork“ eine Vielzahl motivierender Puzzlevariationen: Das Mischen von Gasen, Reparieren musikalischer Brunnen oder Verschieben von Bühnenkulissen erweist sich noch als einfachste Übung.
Alle Örtlichkeiten sind – auch hier ist der „Myst“-Einfluß deutlich – meist menschenleer, wodurch die unheimliche Atmosphäre noch gesteigert wird. Umfangen von einem hypnotischen Soundtrack, der für jedes Szenario ein neues Trance- Leitthema bereithält, erforscht man in der extrem umfangreichen Spielwelt die düsteren Hallen eines halbverfallenen Tempels, die Art-deco-Räumlichkeiten eines gediegenen Mädchenkonservatoriums oder das mit pyromanischem Wandschmuck verzierte Innere des Klosters einer obskuren Feueranbetersekte. Insgesamt gibt es fünf Miniuniversen, die sich auch in der Farbgebung deutlich unterscheiden: So sind die Interieurs der alptraumhaften Wolkenkratzerklinik des frankensteinesken Dr. Sartorius in unterkühlten Silbergrautönen gehalten. Da signalisiert schon die Optik: Gänsehaut marsch!
Als ein Nachfolger der oben beschriebenen Textadventure setzt „Zork: Nemesis“ sein technologisches Kapital wohltuend funktional ein: „Z-Vision“ ermöglicht eine stufenlose Drehung der Grafiken um 360 Grad; „Q-Sound“ simuliert auch mit herkömmlichen Stereoboxen eine quadrophonische Geräuschkulisse (allerdings nur unter Windows 95). Das sind nicht nur technische Mätzchen, es dient durchaus der Spielbarkeit: Die Orientierung in den schrittweise weitergeschalteten, in Augenperspektive „erlebten“ 3 D-Szenarien wird auf diese Weise erleichtert. Ökonomischer als die Konkurrenz geht man auch mit den inzwischen obligatorischen Videoclip-Spielfilmeinlagen um: Kurze Dialogsequenzen erhellen Hintergründe der Story um vier verschollene hochrangige Persönlichkeiten, die offensichtlich in dubiose alchemistische Experimente verstrickt waren. Die sehr harmonisch in die Kulissen integrierten Rückblenden, oft geschickt über Nahaufnahmen gefundener Artefakte geblendet, heben sich jedenfalls wohltuend vom Gros ebenso ausufernder wie mittelmäßiger Darbietungen in anderen Spielen ab.
Gelesen werden darf auch noch: Das komplett audiovisuelle Vergnügen ist sogar ausgesprochen lektürelastig: Überall stolpert man über Bücher, Briefe, Notizzettel. Ironisch genug: Man taucht in den totalen Cyberspace ein, biegt um zwei Ecken und landet sofort in einer gutausgestatteten Bibliothek, die zum virtuellen Schmökern einlädt. Hat da jemand gerade was vom Ende der Gutenberg- Galaxis gefaselt ...? Ulrich Hölzer
„Zork: Nemesis“ (Activision). CD-ROM für MS-DOS und Windows 95, ab 486er/66 Mhz mit 8 MB RAM, SVGA, 16-Bit- Soundkarte, UPE: 120 DM (komplett deutsche Version erhältlich!)
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