Podcasterinnen über Identität: „Wir wollen eine Lücke füllen“
Vanessa Vu und Minh Thu Tran möchten mit ihrem Podcast „Rice and Shine“ vietdeutsche Perspektiven abbilden. Ein Gespräch über Repräsentation und Medien.
taz: Frau Vu, Frau Tran, die erste Folge von Rice and Shine ging vor etwas mehr als einem Jahr online. Was haben Sie gelernt?
Vanessa Vu: Wir haben mit dem Podcast angefangen, weil es in unserer Jugend keine Medien gab, die unsere Perspektiven als Kinder vietnamesischer Gastarbeiter auch nur halbwegs abbilden konnten. Diese Lücke wollten wir irgendwie mit unserem Podcast schließen – hatten aber ehrlich gesagt keine genaue Ahnung, wie wir das machen sollen oder was rauskommen würde. Wir wussten nur, dass etwas fehlt und lernen mit jeder Folge, was genau dieses Etwas ist.
Minh Thu Tran: Gleichzeitig lernen wir durch das Feedback von Hörer*innen viele Vietdeutsche mit Perspektiven kennen, die uns noch nicht vertraut waren. Wir als cis-hetero Frauen können bestimmte Perspektiven ja gar nicht abbilden. Also laden wir Gäste ein und lassen sie erzählen. Diese Vielfalt ist uns wichtig.
War von Anfang an klar, dass Sie einen Podcast machen?
Vu: Nein, Minh Thu wollte YouTube-Videos machen, aber ich wollte nicht vor die Kamera.
Warum YouTube?
Tran: Für mich war das in meiner Jugend das Medium, worüber ich die meisten diasporischen Inhalte mitbekommen habe. In meiner Teenagerzeit habe ich Tage damit verbracht, Videos von Asian Americans anzuschauen. Ich bin ja aber auch Radiojournalistin, und ein Podcast ist barrierefreier, was die Produktion und den Zugang anbelangt.
Minh Thu Tran, geboren 1993, ist freie Journalistin, hauptsächlich für Deutschlandfunk Nova und den WDR.
Vanessa Vu, geboren 1991, ist Politik- und Gesellschaftsredakteurin bei „Zeit Online“.
Gemeinsam betreiben sie den monatlich erscheinenden halbstündigen Podcast „Rice and Shine“, in dem sie von ihren Erfahrungen als Kinder vietnamesischer Einwanderer in Deutschland erzählen. Mal mit Gast, mal zu zweit. Hörbar unter anderem bei Podigee, Spotify oder iTunes.
Vu: Aber YouTube hat schon Vorteile. Die jungen Leute hängen da rum und die Vielfalt, die wir nur über den gesprochenen Inhalt transportieren, könnten wir da visuell zeigen. Das wäre Repräsentation auf einer weiteren Ebene. Für die visuelle Ebene nutzen wir Instagram, das funktioniert erstaunlich gut.
Zum Beispiel sieht man da Ihre Katzen, wenn Sie mal wieder in einer Nachtschicht die nächste Folge schneiden …
Vu: Ich hätte nicht gedacht, dass es so persönlich wird. Aber gerade wenn wir uns geöffnet haben, haben das auch sehr viele unserer Hörer*innen getan. Je anekdotischer wir wurden, desto wertvoller fanden unsere Hörer*innen die Folgen. Wir setzen aber auch Grenzen.
Wo zum Beispiel?
Vu: Ich will nicht über jedes Thema reden, Sex und Dating zum Beispiel. Wir reden stattdessen sehr viel über Essen. Das hat auch eine Vorgeschichte: Wir sind zusammen zur Journalistenschule gegangen und haben da abwechselnd füreinander gekocht, weil die Kantine zu teuer war.
Am 8. März veröffentlichen wir auf taz.de nur Beiträge von Frauen* und nicht-binären Menschen, und auch nur diese kommen darin vor: als Expert*innen, als Protagonist*innen, auf den Fotos. Trotzdem beschäftigen wir uns nicht primär mit dem, was im allgemeinen Sprachgebrauch gern als „Frauenthemen“ bezeichnet wird – sondern mit dem Tagesgeschehen.
Fühlt es sich manchmal an, als würden Sie auf Identitäts- und Herkunftsthemen reduziert werden?
Tran: Was den Podcast anbelangt, nein. Da können wir alle Themen so denken und diskutieren, wie wir möchten. Das ist befreiend und auch anders, als im beruflichen Kontext über Rassismus und Migration zu reden.
Vu: Es ist ja eigentlich umgekehrt. Diese Themen finden in den Massenmedien kaum Beachtung, gerade asiatisch-deutsche Perspektiven gibt es quasi nicht. Es gibt nur den weißen Blick darauf. Das versuchen wir zu ändern. Ich habe noch so viele offene Fragen und es macht mir total viel Spaß, diesen Fragen nachzugehen.
Und außerhalb vom Podcast?
Vu: Ich finde schade, wie Migration im Journalismus manchmal als Thema zweiter Klasse abgestempelt wird. Wenn man es wirklich geschafft hat im deutschen Journalismus, dann macht man harte Innenpolitik, berichtet über die Parteienlandschaft oder Wirtschaft. Dabei ist Migration ein riesiger Komplex, für den man nicht weniger wissenschaftlich qualifiziert sein sollte.
Frauen, die bewegen
Tran: Wenn gefragt wird, ob diese ganzen Identitätsdebatten wirklich relevant sind und ob wir nicht lieber über Sozial- oder Arbeitspolitik reden sollten, denke ich mir oft: Ja, aber für mich ist das anders. Diese Vorgabe von anderen Menschen, was für dich wichtiger sein soll, regt mich auf.
Vu: Einer unserer Weißen Hörer fand unsere Instagram-Story zum „Chinesenfasching“ und Yellowfacing im bayerischen Dietfurt zum Beispiel völlig belanglos. Aber für uns sind das bewegende Themen. Natürlich ist es bequemer für Weiße Menschen, rassistische Erfahrungen als belanglos abzustempeln, zum Tagesgeschäft überzugehen und über Wohnungspolitik zu sprechen. Dabei sind auch die „harten politischen Themen“ nicht ohne Minderheitenperspektive denkbar. Wer bekommt denn eine Wohnung und gut bezahlte Arbeit? Das hängt oft mit der Herkunft zusammen, mit dem Namen und dem Aussehen.
Verstehen Sie sich in der Hinsicht als Aktivistinnen?
Vu: Nein, wir sind in erster Linie Journalistinnen, im Hauptberuf und im Podcast. Wir wollen verschiedene Menschen zu Wort kommen lassen, Vielfalt innerhalb unserer Community abbilden und wir recherchieren unsere Folgen. Einigen ist das schon zu viel und dann rücken sie uns in die aktivistische Ecke.
Weil man sich im Journalismus nicht mit einer Sache gemein machen sollte?
Tran: Ich finde das daneben. Du bist ein Mensch und hast zu allen Recherchen, die du machst, Reaktionen und Gefühle. Es ist aber wichtig, dass wir diese Emotionen offenlegen und wie transparent wir mit unseren Positionen sind.
Vu: Weiße Menschen können sich mit ihren Problemen und Erfahrungen beschäftigen und das gilt dann als objektiv, solange sie sauber recherchiert und verschiedene Seiten abgebildet haben. Sobald wir das tun, gilt das plötzlich nicht mehr als objektiv, sondern als Aktivismus. Oder als emotional.
Was wünschen Sie sich für das zweite Jahr Rice and Shine?
Vu: Wir wollen noch mehr Menschen aus unserer Community erreichen. Wir wissen ja, dass es mindestens 200.000 von uns da draußen gibt. Da wünsche ich mir mehr Austausch, auch persönlich.
Tran: Wir erreichen bislang vor allem Menschen, die uns ähnlich sind. Die meisten unserer Hörer*innen sind weiblich und in unserem Alter. Ich finde, dass wir noch ein bisschen mehr zu den männlichen Hörern stoßen könnten. Weil die ja auch wichtige Perspektiven haben.
Vu: Ich wurde letztens gefragt, warum wir die ganze Zeit Frauen einladen, ob wir das aus feministischen Gründen tun. Die ehrliche Antwort: Ich glaube, man sucht und findet die Leute, die einem am nächsten sind. Das passiert natürlicherweise, alles andere erfordert zusätzliche Anstrengung. Aber die wollen wir auf uns nehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Linke gegen AfD und BSW
Showdown in Lichtenberg
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten