piwik no script img

Podcast über „Drachenlord“Digital-analoge Eskalation

In Staffel zwei erzählt der Podcast „Cui Bono“ Internetgeschichte anhand eines bekannten Falls: „Drachenlord“ und die Macht von Reality-TV.

Auf einmal wollen 900 Menschen ein Haus in einem fränkischen Dorf stürmen Foto: DAvid Oßwald/picture alliance

Am 20. August 2018 stehen etwa 900 Menschen vor einem Haus und wollen es stürmen. Es gehört keiner Bank, nicht dem Verkehrsministerium, ist kein Objekt von Immobilienspekulant*innen. Es steht in Franken in einem kleinen Dorf mit weniger als 50 Einwohner*innen. Drinnen sitzt: Reiner Winkler, der „Drachenlord“. Draußen werfen sie mit Steinen, mit Eiern, mit Böllern, es bricht ein Feuer aus. Drinnen streamt eines der größten deutschsprachigen Youtube-Phänomene. Der Drachenlord ist Opfer, später auch verurteilter Täter und ein Stück Internetgeschichte.

Kein Wunder also, dass die zweite Staffel des Podcasts „Cui Bono“ sich mit ihm befasst. Bereits in der ersten Staffel hat das Team um Host und Autor Khesrau Behroz bewiesen, was es kann: Die Geschichte des Internets und seinen Einfluss auf die Gesellschaft anhand eines besonders bekannten Falls erklären. In der letzten Staffel war es Ken Jebsen, der den Weg vom experimentellen Radiomoderator hin zum Verbreiter von Verschwörungserzählungen ging – und viele Menschen mitnahm.

In der neuen Staffel, einer Produktion von Studio Bummens und RTL+ Musik, geht es nun um den Drachenlord und die Macht von Youtube und Reality-TV. Mit „Big Brother“, die erste Staffel im Jahr 2000, zog Reality-TV in die Köpfe Deutschlands: Zlatko und Jürgen werden eingespielt, „Großer Bruder“, es ist lustig, klingt nach Party, wer will kann mitsingen – aber dann berichtet der Podcast von Manu. Die hatte einen Konflikt mit den Herzchen der Show, vor dem Container schreien Menschen: „Manu raus“. Das war damals die Stimmung in Gesellschaft und auch Medien. In der taz wurde sogar eine Initiative gegen Manu gefordert. Selbst nach der Show wird Manu weiter verfolgt, sie muss umziehen.

Winkler gehört zur nächsten Generation Reality-TV: Youtube. „Broadcast yourself“ lautete der Slogan der Plattform bis 2010. 2012 kam Winkler diesem Ruf nach, startete als Drachenlord einen Kanal und zeigte sich von da an beim Headbangen, Brote­schmieren, Gamen. Immer wieder spielt der Podcast Ausschnitte aus dieser Zeit ein, lässt abermals Freude bringen, aber auch Cringe. Wie konnte daraus eine Hetzjagd entstehen?

Wie bei einem Vampir

Gleich zu Beginn der Staffel findet Behroz ein treffendes Bild: Vampire könnten, so erklärt er den alten Mythos, nur ins Haus ihrer Opfer kommen, wenn diese die Wesen selbst über die Türschwelle bitten. Winklers Schwester bekommt einen Anruf, in dem ihr – so erzählt er es selbst – mit Vergewaltigung gedroht wird. Winkler fordert seine Hater auf, sie in Ruhe zu lassen, stattdessen zu ihm zu kommen. Dann nennt er seine Adresse. Das „Drachen-Game“, bei dem es darum geht, einem Menschen, so krass es geht, zu schaden, ist eröffnet.

„Cui Bono“ zeigt gekonnt, wie die Szene der Hater eskaliert und die immer heftigeren Reaktionen Winklers. Doch auch wenn der Podcast selbst davon spricht, dass das Verhältnis „ambivalent“ sei: Täter*innen- und Opferrolle sind ganz klar. Und sie wird vom Podcast selber immer wieder gefestigt. So führt der Podcast eine der tragischsten Episoden des Drachen-Games wieder vor. Winkler macht einer Frau, die er erst seit wenigen Monaten kennt und nie analog gesehen hat, einen Heiratsantrag vor laufender Kamera. Sie lehnt nicht nur ab, sie beschimpft ihn, macht ihn lächerlich. Sie ist eine Haterin und sie wird flankiert von zwei feiernden Hatern. Tausende Menschen sahen das Video. Nun können wir diesen Angriff im Podcast immer und immer wieder hören.

Bis heute sind bei der Staatsanwaltschaft, so der Podcast, über 150 Ermittlungsverfahren in der Sache Drachenlord in Bearbeitung. Es geht um Beleidigung, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Körperverletzung. Winkler selbst wurde Anfang 2022 wegen Beleidigung und Körperverletzung zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt – er hatte sich gewehrt. Dem Spiegel sagte Winkler kürzlich in seinem ersten ausführlichen Gespräch mit der Presse, dass er sich im Stich gelassen fühle von den Behörden.

Der Podcast

„Cui Bono: Wer hat Angst vorm Drachenlord?“, zwei Folgen ab 17. November, danach immer donnerstags.

Auch wenn Winkler ein besonders krasser Fall ist, geht es vielen Opfern von sogenanntem Cybermobbing ähnlich. Es kann sogar in den Tod führen. In Österreich suizidierte sich im Juli 2022 die Ärztin Lisa-­Maria Kellermayr, die Opfer einer digitalen wie analogen Hetzkampagne durch Coronaleugner und -verharmloser geworden war. Laut einer Studie sind in Deutschland allein 1,8 Millionen Kinder und Jugendliche von Cybermobbing betroffen. Deswegen ist es wichtig, dass dieser Pod­cast produziert wurde, dass er spannend, mitreißend erzählt, auch wenn er Schmerzgrenzen überschreitet. Noch wichtiger wäre es, dass Staat und Zivilgesellschaft aktiver werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Hier werden wie üblich bei der Berichterstattung über den Drachenlord einige Informationen ausgelassen. Beispiel: In den Wochen vor dem Heiratsantrag wurde Winkler von seinen Zuschauern wiederholt darauf aufmerksam gemacht, dass es sich bei seiner Angebeteten "Erdbeerchen" eindeutig um einen Fake handelt, woraufhin er die gutgemeinten Ratschläge als Hate abtat und viele der Hinweisgeber vom weiteren Kommentieren ausschloss, indem er sie bannte.

    Dass im Artikel tatsächlich Winklers Fall mit dem Fall der Ärztin Kellermayr verglichen wird, ist nichts weiter blanker Hohn. Während die Ärztin eine Demonstration von durchgeknallten Verschwörungstheoretikern kritisierte und infolgedessen Opfer einer irren Hetzkampagne wurde, lebt Winkler seit Jahren in einer Art Symbiose mit seinen Hatern. Er selbst hat mehrfach zugegeben, den Hate aus finanziellen Gründen anzuheizen.

    Auch der Appell im letzten Satz des Artikels entlarvt die Unwissenheit des Autors bei diesem Thema. Nachdem Winkler letztes Jahr zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, wurde ihm einerseits ein Bewährungshelfer zur Seite gestellt, und andererseits kaufte ihm die Gemeinde sein heruntergewirtschaftetes Grundstück ab. Das Geld hätte Winkler sinnvoll in einen echten Neustart investieren können, stattdessen kaufte er sich neben einem Ford Ranger u.a. ein VR-Headset, eine neue Grafikkarte und übernachtete in verschiedenen 4-Sterne-Hotels.

    Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Winkler in der Tat ein Opfer von Cybermobbing ist, er in den letzten Jahren jedoch so gut wie keine Möglichkeit ausließ, selbst Öl ins Feuer zu gießen, um im Internet sichtbar zu bleiben und so Einnahmen zu generieren.

    • @Paul Grumbach:

      Sehr gute Ergänzung, ich hoffe der Autor nimmt es sich zu Herzen und beleuchtet in Zukunft auch die Argumente des politischen Gegners, man muss sie ja nicht übernehmen.

      • @Mr Plagiārius:

        Richtig so. Recht hat in einer Demokratie immer die Mehrheit und das Mobbingopfer ist im Zweifel selbst schuld. Gemobbt wird es ja nur, weil es sich nicht so verhält, wie es dem Mob gefällt.