Platzverweise in Hamburg: Operation „ruhige Binnenalster“
Die Polizei macht in der Hamburger Innenstadt Jagd auf Jugendliche. Nach Auffassung von Geschäftsleuten stören sie Handel und Tourismus.
HAMBURG taz |Die Polizei macht in der Hamburger Innenstadt rund um die Binnenalster an Wochenenden Jagd auf Jugendliche und Heranwachsende. Dadurch sollen Touristen und Kaufhungrige in ihrem Einkaufsverhalten ungestört bleiben. Das geht aus der Antwort des SPD-Senats auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervor.
„Die gezielte polizeiliche Vertreibung der jungen Leute aus der Innenstadt ist ein Skandal“, schimpft die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Christiane Schneider. „Wie alle anderen, ob Touristen, Konsumenten oder Spaziergänger, haben sie das Recht, sich auf öffentlichen Straßen und Plätzen aufzuhalten“, sagt Schneider.
Flaniermeile Jungfernstieg, Samstagabend: Eine Gruppe herausgeputzter junger Frauen trifft sich an der Alster-Treppe nahe dem Pavillon, um mit Schulfreunden auf die Piste zu gehen. Es ist nicht gerade ruhig, lautes Gekicher und Lachen – ob der neue Rock nicht zu auffällig sei oder die High Heels unangebracht? Eine Flasche Prosecco macht die Runde.
Als nach einiger Zeit „die Jungs“ mit Bierflaschen in Hand eintreffen – darunter einige mit Migrationshintergrund – ist die gute Laune bald vorbei: Polizisten umringen die Gruppe und verlangen die Personalien. „Es ist wirklich nichts los gewesen“, berichtet eine Augenzeugin der taz. Als sich einige über die Maßnahme beschweren, hagelt es Platzverweise.
Ein „Auftragsbefehl“
Polizeiliche Handlungskonzepte mit "zielgruppenorientierten Personenüberprüfungen" zur Steigerung des subjektiven Sicherheitsgefühls sind nicht neu. Sie werden auf Bitten und im Interesse des Einzelhandels entwickelt.
So genannte Randgruppen waren 2009 unter der Ägide von CDU-Innensenator Christoph Ahlhaus im Visier der Staatsmacht. Gemeint waren "Punks, Alkoholiker und Obdachlose".
Der bloße Aufenthalt in städtischen Fußgängerzonen oder Parks sowie Alkoholkonsum oder das Betteln stellen indes keine Gefahr im polizeirechtlichen Sinn dar. Im Kommentar zum Polizeigesetz heißt es: "Nicht mehr strittig ist, dass Bettelei und freiwillige Obdachlosigkeit keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen."
Eine Szene, wie sie sich seit dem 15. März an Freitagen und Samstagen des Öfteren abspielt. Denn seitdem ist das „Neue Polizeikonzept für Sicherheit rund um die Binnenalster“ in Kraft. „Der Jungfernstieg sowie das angrenzende Grün- und Erholungsgebiet der Binnenalster bis hin zur Kunsthalle ist für die hamburgische Bevölkerung als auch für Touristen ein Anziehungspunkt“, schreibt der Senat.
Doch gerade bei „günstiger Wetterlage“ sei die Region auch „Treffpunkt für Gruppen von Jugendlichen und Heranwachsenden in unterschiedlicher Zahl und Zusammensetzung.“
Es lägen deswegen „Beschwerden“ aus Handel und Gewerbe vor. Die Polizei glaubt zudem beobachtet zu haben, dass der Alkoholkonsum und die Aggressivität seit 2011 zugenommen habe. „Das Verhalten der Personen erfordert gefahrenabwehrende und strafverfolgende Maßnahmen der Polizei“, befindet der SPD-Senat. Daher sei die Anweisung, nach dem neuen Handlungskonzept vorzugehen, für alle Polizisten bindend als „Auftragsbefehl“ zu verstehen.
Fünf Schwerpunkteinsätze führte die Polizei an zwei Wochenenden Ende März durch. Dabei wurde das gesamte polizeiliches Equipment eingesetzt. Hunde- und Pferdestaffel, Einsatzzüge und Bereitschaftspolizei sowie Jugendschutzfahnder. 166 BeamtInnen waren beteiligt, die 800 Jugendliche kontrollierten und gegen 197 Platzverweise aussprachen – wegen aggressiven Bettelns, Pöbeleien und Alkoholkonsums. Elf Jugendliche wurden in Gewahrsam genommen.
Tatsächlich resultierten aus den 800 Polizeimaßnahmen gerade mal drei Strafanzeigen wegen des Verdachts der Körperverletzung, konstatiert Schneider. „Damit widerlegen die Fakten die Begründung der Maßnahme selbst“, sagt Schneider. „Die Einschränkung der Rechte ist durch nichts gedeckt.“
Es ist nicht das erste Mal, dass die Polizei zwecks sauberer Innenstadt auf Menschenjagd geht. Im Winter 2009 kursierte unter dem schwarz-grünen Senat und CDU-Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) ein Handlungskonzept, Randgruppen wie Punker, Alkoholiker und Obdachlose zu vertreiben. Besonders rigoros ist damals gegen Emo-Punks – Jugendliche der Emotional-Gothic-Szene – vorgegangen worden, die sich auf dem Rathausmarkt trafen.
„Das ist nicht nur eine Neuauflage der Handlungsanweisung unter Schwarz-Grün, sondern sogar eine räumliche Erweiterung“, sagt die innenpolitische Sprecherin der GAL-Fraktion, Antje Möller, zur der neuen Anweisung. Die Jagd auf Emo-Punks ist damals auf Druck des grünen Regierungspartners eingestellt worden.
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