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Platz für den Wachtelkönig

Landwirtschaft und Naturschutz werden am Federsee getrennt statt integriert. EU finanziert noch Projekte, droht aber mit Mittelstopp wegen Fristablauf bei Öko-Gebieten

HAITERBACH taz ■ Naturschutz ist nur mit, nicht gegen die Landwirtschaft möglich, heißt es immer wieder. Statt ergänzender Gemeinsamkeit gibt es aber in der Realität allenfalls ein „entflochtenes Nebeneinander“ von Landwirtschaft und Naturschutz. Beispiel dafür ist gerade das älteste Naturschutzgebiet Deutschlands, der Federsee.

Im Federseeried südlich von Ulm hat der Nabu schon 1911 mit dem Kauf von Grundstücken ein Trockenlegen durch Entwässerungsgräben verhindert und sein erstes Naturschutzgebiet entwickelt. Inzwischen sind nicht nur der See und seine Ufer absolut geschützt, auch angrenzende Gebiete wurden unter Schutz gestellt, insgesamt über 3.000 Hektar. Der Federsee wurde zum europäischen Vogelparadies, in dem der seltene Wachtelkönig wieder zwitschert. Dort können Besucher durch Hüpfen auf dem Moorboden den Wald wackeln lassen. Noch im Herbst soll der Moorwasserspiegel angehoben werden, um ein weiteres Austrocknen des Torfs zu verhindern und archäologische Fundstellen vor dem Verfall zu bewahren. Mit 1,6 Millionen Mark zahlt die EU die Hälfte der Projektkosten für die Sicherung der Natur.

Die organisierte Zusammenarbeit von Vertretern der Bauern und von Naturschützern funktioniert in den Arbeitskreisen der Projekte. Können sich die Verbandsvertreter der Bauern und Ämter mit den Umweltschützern über die Gebietsaufteilung einigen, beginnt der Land-Handel. Flächen werden im Tausch oder Verkauf zu größeren Einheiten zusammengelegt. Mit Mitteln der Verbände, des Landes und der EU werden Grundstücke von Landwirten gekauft, die im Strukturwandel weichen wollen. Eingetauscht werden Flächen in Schutzgebieten gegen solche außerhalb, besonders von Wachstumsbetrieben.

Von der Wirklichkeit eingeholt wird damit die Feststellung von Bauernvertretern, Landwirte würden mit ihrer Arbeit erst die schützenswerte Artenvielfalt ermöglichen. Das war so, als Bauern viele Kulturen im jährlichen Wechsel angebaut und Streuobstwiesen um ihre Dörfer angelegt haben. Mit den Monokulturen der modernen Agrarwirtschaft ist aber bei den Nutzpflanzen Einfalt angesagt, und die intensive Bewirtschaftung verursacht sogar das schnelle Artensterben. Mit der modernen „Fruchtfolge Baugebiet“ fallen auch die Obstbäume an den Dorfrändern.

Auch in dem seit zehn Monaten laufenden EU-Projekt „Untersee Life“ am westlichen Bodensee werden landwirtschaftliche Nutzung und Schutz der Natur „entflochten“. Aus dem geschützten Radolfzeller Ried werden die Flächen von zwei aufgebenden Landwirten herausgekauft, ein Gärtner wird künftig auf Äckern außerhalb sein Gemüse anbauen. Dann können abgetrennte Altarme wieder an den Lauf des Aach-Flusses angeschlossen werden, sodass der Lebensraum im Auwald für den Biber größer wird. Feuchtwiesen sollen weiterhin mit dem Pferdegespann von einem Biobauern gemäht werden, das in Rundballen gepresste Heu als Mulch im Obstbau Verwendung finden.

Mit der Aufwertung der umliegenden Region als erlebnisreiche Erholungslandschaft soll der Tourismus gefördert und Betrieben in Landwirtschaft, Handwerk und Gastronomie ein Einkommen gesichert werden. „Kultur und Erlebnis“ mit „Naturpark-Produkten“ bei der Radtour an der Donau entlang locken zum „Naturerlebnis im Wackelwald“ am Federsee. „Untersee-Genüsse“, „Naturprodukte an Bord“ heißt das beim Expo-Projekt „Zukunftsfähiger Bodensee“. Mit vollen Segeln rauschen so eine Solarsegelyacht und eine Solarfähre über das schwäbische Meer zu 14 Ecocampingplätzen rund um den See. In all diese Projekte fließen Gelder aus den EU-Programmen „Life“ und „Leader“. Gerade wurde von der Kommission „Life III“ beschlossen und mit 1,2 Milliarden Mark Fördergeldern ausgestattet. Ob der Naturschutz dort davon profitieren wird, ist eine andere Frage: Obwohl die Frist schon letztes Jahr auslief, hat die Bundesrepublik immer noch nicht alle ökologisch wertvollen oder typischen Gebiete (Flora-Fauna-Habitate) der EU gemeldet. Nun droht die Kommission mit Geldentzug; das sollen nur noch Länder bekommen, die ihrer Pflicht nachgekommen sind.

CHRISTOPH ZIECHAUS-HARTELT

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