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im fokusPlant ihren Gottesdienst per Stream: Pfarrerin Christine Schlund

Foto: privat

Als Christine Schlund am vergangen Sonntag die Kirchentür hinter sich ins Schloss fallen ließ, wusste sie: Das war es erst mal. Was die Behörden zwei Tage später offiziell anordneten, war der Pastorin da längst klar: Es war ihr vorerst letzter Gottesdienst in der Berliner Sophienkirche. Für wie lange? Keiner weiß es.

Schon dieser letzte Gottesdienst am 15. März stand ganz im Zeichen der Krise, erzählt die 53-jährige Pastorin am Telefon. Besucher*innen mussten sich in eine Liste eintragen. Es kamen weniger als sonst, etwa 50 Menschen. Mehr wären auch nicht erlaubt gewesen. Auf den Kirchbänken wurde Abstand zueinander gehalten. Man betete zusammen – und doch irgendwie jeder für sich.

Seit Montag arbeitet wie so viele andere Menschen derzeit also auch Pfarrerin Christine Schlund von zu Hause aus. Eine Hirtin im Homeoffice. Geht das überhaupt?

„Die Woche war sehr diffus und hektisch“, sagt Schlund. In Telefonkonferenzen bespricht sie sich mit ihren Pfarrkolleg*innen aus der Evangelischen Gemeinde am Weinberg. Wie umgehen mit dem Ausnahmezustand? Sie planen ein Video-Streaming, das Gottesdienste über das Internet überträgt. Sie beraten den Haushalt, der durch den zu erwarteten Konjunktureinbruch und die fehlenden Kollekten obsolet geworden ist. Und sie telefonieren mit vielen Gemeindemitgliedern, singen und beten zusammen. Sie spüre viel Enttäuschung und Sehnsucht, aber auch Verständnis, sagt Schlund.

Natürlich könne sich die Kirche keine Extrarolle herausnehmen. Das sei eine Frage der Solidarität. Sie sagt aber auch: „Gerade jetzt ist es nötig, Menschen Halt zu geben.“

Immerhin: Ganz geschlossen ist die Kirche nicht. Die Tür steht, Stand jetzt, weiter offen. Wer will, kann hineingehen, ein wenig Ruhe außerhalb der eigenen vier Wände finden, eine Kerze anzünden. Religion wird – wie so vieles im Moment – eine sehr private Angelegenheit.

„Corona wirft uns auf uns selber zurück“, sagt auch Schlund. „Jetzt merken wir erst, wie sehr wir uns über Arbeitsbezüge und unser Sozialgefüge definieren.“ Theologisch stellen sich durch die Krise neue Fragen.

Und auch organisatorisch ist das Coronavirus zwar zunächst eine Herausforderung, könnte aber auch neue Wege ebnen. „Wir werden nach dieser Krise definitiv eine andere Kirche, eine andere Gemeinde sein“, sagt Christine Schlund.

Wann das sein wird, ist momentan jedoch kaum abzusehen. Bis zum größten und wichtigsten Fest des Christentums sind es nur noch drei Wochen. Schlund hegt vage Hoffnungen auf einen kleinen Gottesdienst an Ostern – im Freien, mit Abstand und Teilnehmer*innenbegrenzung.

Die Fastenzeit, die Christen bis dahin begehen, steht bei der evangelischen Kirche in diesem Jahr unter dem Motto: „Zuversicht! Sieben Wochen ohne Pessimismus!“

„Das fordert uns durchaus heraus in deser Zeit“, sagt Christine Schlund. „Aber wir werden dieses Motto nicht vergessen.“ Daniel Böldt

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