Plan für deutsche EU-Präsidentschaft: Berlin will Mercosur durchdrücken
Exklusiv: Unter deutscher Führung soll die EU auch über ein neues TTIP-Abkommen mit den USA verhandeln. Das dürfte auf Widerstand stoßen.
Die EU soll das umstrittene Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten trotz eines Vetos aus Österreich weiter verfolgen und abschließen. Außerdem soll die EU-Kommission eine weitreichende Handelsliberalisierung mit den USA aushandeln. Dies geht aus einem Entwurf für den deutschen EU-Vorsitz hervor, der der taz vorliegt.
Die deutsche Ratspräsidentschaft beginnt am 1. Juli und dauert ein halbes Jahr. Die Außen- und Handelspolitik gehört dabei zu den Schwerpunkten der Bundesregierung, wie aus dem Entwurf hervorgeht. „Innovativ, gerecht und nachhaltig – mehr Europa in der Welt“ lautet die Devise, die noch vor Beginn der Coronakrise ausgegeben wurde.
Die USA werden in dem Entwurf weiter als „engster außen- und sicherheitspolitischer Partner außerhalb der EU“ bezeichnet. Die Bundesregierung spricht sich für die „Wiederaufnahme eines breiten Hochrangigen politischen Dialogs (…) und die Weiterentwicklung und Umsetzung einer positiven transatlantischen Handelsagenda“ aus.
Dies geht weit über die aktuellen Pläne hinaus. Die EU-Kommission verhandelt mit Washington derzeit vor allem über gemeinsame Industriestandards, um US-Strafzölle auf deutsche Autoexporte zu verhindern. Berlin scheint jedoch eine Art „TTIP light“ anzustreben – also eine umfassende Liberalisierung zugunsten der Exportindustrie.
Veto aus Österreich wird ignoriert
Noch überraschender ist die Passage zu Mexiko und Mercosur. „Wir verfolgen (…) das Ziel für die EU, das modernisierte Globalabkommen mit Mexiko zu unterzeichnen (und) die Einigung mit dem Mercosur weiter zu finalisieren“, heißt es in dem Entwurf. Dabei geht die Bundesregierung offenbar über das Veto aus Österreich hinweg.
Der Bundesrat in Wien hatte Mitte März beschlossen, dass jeder Vertreter Österreichs gegen jede Form des Abkommens stimmen muss. Damit sei der Mercosur-Deal tot, hieß es in Brüssel. Denn damit er in Kraft tritt, muss er von allen 27 EU-Staaten und vermutlich auch diversen Regionalparlamenten ratifiziert werden. Massive Vorbehalte gegen das Mercosur-Abkommen gibt es auch in Frankreich und Irland.
Sorge um Klimaschutz und Lebensmittelsicherheit
Dass Berlin trotzdem daran festhalten will, sorgt für Verwunderung im Europaparlament. „Obwohl sich mehrere Mitgliedstaaten gegen das Mercosur-Abkommen ausgesprochen haben und die Kritik im Europaparlament immens ist, will die Bundesregierung noch dieses Jahr eine Abstimmung zu dem umstrittenen Abkommen herbeiführen“, sagte die deutsche EU-Abgeordnete Anna Cavazzini der taz. Ohne „massiven Druck auf die Kritiker“ oder eine Nachverhandlung werde dies nicht gehen, so die Grünen-Politikerin.
Kritiker werfen den Mercosur-Staaten – allen voran Brasilien – vor, das Pariser Klimaabkommen zu brechen und die Umwelt zu gefährden. In Österreich und Frankreich fürchtet man auch um die Lebensmittelsicherheit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands