Plädoyers in Koblenzer Folter-Prozess: „Die Helden dieses Verfahrens“

Im Al-Khatib-Prozess wegen Staatsfolter in Syrien haben die Pladoyers der Nebenklage begonnen. Die Überlebenden ergreifen das Wort.

Männerhände in Handschellen

Anwar R. in Handschellen im Al-Khatib-Prozess in Koblenz Foto: Thomas Frey/dpa

KOBLENZ taz | Am Mittwoch, es ist der 105. Verhandlungstag im sogenannten Al-Khatib-Verfahren vor dem Koblenzer Oberlandesgericht, ergreift Hussein Ghrer noch einmal das Wort. „Ich werde dich hinter die Sonne bringen und selbst Fliegen werden dich dort nicht finden“, mit diesen Worten, sagt Ghrer, hätten die Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes ihn und andere bedroht.

Hinter der Sonne zu verschwinden bedeute, im Dunklen zu sein, ausgeliefert mit unbekanntem Schicksal das Zeitgefühl zu verlieren – und zu wissen, dass die Angehörigen keine Kenntnis darüber hätten, ob man tot oder lebendig sei. Es bedeute, abgeschlossen zu sein an einem dunklen Ort. Zu vergessen, wie das Laub von Bäumen aussieht und wie Blumen riechen.

Ghrer, der heute 41 Jahre alt ist, war einer der einflussreichsten Blogger in Syrien, mit Klarnamen kritisierte er das Regime. Im Oktober 2011 wurde er in einem Café in Damaskus verhaftet und in die Abteilung 251 des syrischen Geheimdienstes gebracht, genauer: in das berüchtigte Al-Khatib-Gefängnis.

Ghrer wurde dort schwer gefoltert, auch wurde ihm vorgespielt, dass seine Frau ebenfalls verhaftet worden sei. Insgesamt hat er mehr als vier Jahre seines Lebens in den Gefängnissen des syrischen Geheimdienstes verbracht.

Folter in mindestens 4.000 Fällen

Nur gut zwei Meter entfernt von Ghrer sitzt Anwar R. auf der Anklagebank. Seit April vergangenen Jahres steht er wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit vor Gericht. R. hat 17 Jahre lang beim syrischen Geheimdienst gearbeitet, in der Abteilung 251 hat er die Ermittlungsabteilung geleitet. Al Khatib war ihm unterstellt.

Dort sollen allein von April 2011 bis September 2012, um diesen Zeitraum geht es in dem Prozess, Tausende Menschen gefoltert worden sein. Selbst misshandelt zu haben, wirft man Anwar R. nicht vor. Er soll verantwortlich – und deshalb Mittäter sein.

Deshalb hat die Bundesanwaltschaft, die in der vergangenen Woche als Erste plädiert hat, für R. wegen 30-fachen Mordes und Folter in mindestens 4.000 Fällen, wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung eine lebenslange Freiheitsstrafe und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld gefordert. In Deutschland können nach dem Weltrechtsprinzip im hiesigen Völkerstrafgesetzbuch Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch dann verfolgt werden, wenn weder Täter noch Opfer Deutsche sind.

An diesem Mittwoch nun beginnen die Plädoyers der 26 Nebenkläger:innen. Hussein Ghrer ist einer von ihnen, an diesem Vormittag sprechen neben ihm noch drei weitere Überlebende von Al Khatib. Später wird sie ihr Anwalt Sebastian Scharmer als „die Helden dieses Verfahrens“ bezeichnen. Sie hätten trotz der enormen Gefahr der Retraumatisierung diesen Prozess erst ermöglicht.

Der Glaube an Gerechtigkeit

Die vier Überlebenden machen noch einmal klar, wie wichtig dieser weltweit erste Prozess gegen Mitarbeiter des Assad-Regimes sei – für sie persönlich, aber auch für Syrerinnen und Syrer weltweit. Entscheidend sei die Botschaft, sagt etwa Wassim Mukdad, dass die Verbrecher früher oder später zur Rechenschaft gezogen würden. Er wolle Gerechtigkeit und eine gerechte Strafe für den ehemaligen Oberst des Geheimdienstes, den Angeklagten Anwar R.

„Ich will keine Rache und keine Vergeltung“, so Mukdad. Er betont wie die anderen, dass die Verbrechen in Syrien weitergehen und dort täglich Menschen in den Foltergefängnissen des Geheimdienstes all die Gräuel erleiden müssen, die die vielen Op­fer­zeu­g:­in­nen hier im Saal 120 des Koblenzer Oberlandesgerichts so detailliert beschrieben haben.

„Ich möchte nicht nur in der Position des Opfers sein und dieses Bild nicht von mir haben“, sagt Nuoran Alghamian. Auch deshalb hat sie in Koblenz ausgesagt. Sie wurde gemeinsam mit ihrer Mutter bei einer Demonstration im Mai 2012 in Damaskus festgenommen, nach Al Khatib gebracht, dort geschlagen und mit Elektroschocks malträtiert. Ein Wärter fasste ihr, als sie an den Händen gefesselt an der Decke aufgehängt war, unter der Kleidung an die Brust und in die Hose. „Zu jeder Zeit hatte sie panische Angst, vergewaltigt zu werden“, hatte die Vertreterin der Anklage in ihrem Plädoyer vergangene Woche über Algha­mian gesagt.

Ruham Hawash, ebenfalls Überlebende von Al Khatib und Nebenklägerin, erinnert daran, wie schwer es ihnen allen gefallen sei, auszusagen und vor Gericht als Zeu­g:in­nen aufzutreten. „Ich habe eine Menge Erinnerungen ausgraben müssen, die ich für immer vergraben wollte“, sagt sie. Das habe schlimme Auswirkungen auf ihre körperliche und seelische Gesundheit gehabt.

Aber, auch das sei ein Effekt der Gerichtsverhandlung: „Mein Glaube an Gerechtigkeit wird wiederhergestellt.“ Sie hoffe, so Hawash weiter, dass das Verfahren und das anstehende Urteil „eine dringliche Aufforderung an die deutsche und alle Regierungen“ sei, die zu retten, die in den Gefängnissen des Assad-Regimes gefangen gehalten werden.

Am Mittwochnachmittag beginnen die Plädoyers der Rechts­an­wält:in­nen, die die Ne­ben­klä­ge­r:in­nen vertreten. Sie werden an den kommenden Verhandlungstagen fortgesetzt. Das Urteil gegen Anwar R. wird Mitte Januar erwartet.

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