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Pirateninhalte im CheckGeil abgeliefert?

Die Piraten sitzen in vier Landtagen und vielen Lokalparlamenten – doch ihre Alltagsarbeit ist weitgehend unbekannt. Zu Unrecht?

Die Revolution findet im kleinen statt, oder? Bild: dpa

BER Hauptstadtflughafen

Kein politisches Thema hat die Berliner in den vergangenen Monaten mehr aufgeregt als das milliardenschwere Debakel um den neuen Hauptstadtflughafen BER. Mit der Website BER-Watch will der Piratenabgeordnete Martin Delius, Vorsitzender des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Flughafenskandal, die Bevölkerung in die Aufklärungsarbeit einbeziehen. Seit Januar stellen die Piraten Originaldokumente und Medienberichte ins Netz, sortiert nach Themenschwerpunkten und Akteuren. Über eine Kommentarfunktion können sich Bürger in die Fachdebatte einbringen. Ziel der Piraten: das „umfangreichste Rechercheportal“ zum Thema aufbauen und die Berliner informieren. Sogar die politische Konkurrenz lobt den Pilotversuch.

Plus: Transparenzversprechen der Piraten praktisch umgesetzt.

Minus: Behördenakten für Laien schwer nachvollziehbar.

Gesamt: Das Projekt könnte der Standard für Untersuchungsausschüsse werden.

Bienensterben

Der Kampf gegen das Bienensterben gehört nicht gerade zu den Kernthemen, für die Piraten geliebt oder gehasst werden. Die Fraktion im saarländischen Landtag hat sich trotzdem gemeinsam mit den Grünen des Problems angenommen. Der gemeinsame Antrag „Verbesserung der Lebensbedingungen von Bienen und anderen pollen- und nektarsammelnden Insekten – Blühendes Saarland“ der zwei Oppositionsfraktionen kam im Landtag Anfang Februar ohne Gegenstimme durch.

Plus: Bienen, Imker und Naturschützer werden es danken.

Minus: ein Thema, mit dem eher die Grünen punkten.

Gesamt: löblich – aber wer wählt deswegen Piraten?

Datenschutz

Eine politische Idee schafft es vom heimischen Laptop eines Basispiraten bis in den Bundesrat: Was dem Berliner Jan Hemme im Frühjahr 2012 gelang, war durchaus spektakulär und ließ den Spiegel von der „Gamification“ der Politik schwärmen. Über die Meinungsbildungssoftware Liquid Feedback brachte er einen Antrag mit dem sperrigen Titel „Datenschutzniveau des Landes Berlin durch die Novellierung der EU-Datenschutzrichtlinien erhalten und ausbauen“ in die parteiinterne Debatte ein. Seine Sorge: Die geplante EU-Verordnung könnte den Datenschutz verschlechtern, statt ihn zu verbessern. Die Fraktion trug den Protest ins Landesparlament, das Abgeordnetenhaus nahm den Antrag in leicht veränderter Fassung an – und am Ende wurde sogar eine mehrheitlich beschlossene Subsidiaritätsrüge des Bundesrats gegen die EU-Kommission daraus.

Plus: prototypisch für neue Spielarten der Basisbeteiligung.

Minus: Der Coup blieb ein Einzelfall.

Gesamt: So stellt man sich Bottom-up-Politik 2.0 vor.

Laptopverbot

Kaum im schleswig-holsteinischen Landtag eingezogen, drohten die Piraten den Parlamentskollegen mit dem Verfassungsgericht. Streitpunkt: Der Ältestenrat wollte nur Tablet-Computer und Smartphones in Plenarsitzungen zulassen, nicht aber Laptops. Die Piraten brachten aus Protest klassische Schreibmaschinen mit ins Plenum – und dokumentierten den Prozess im Netz. Inzwischen haben sich die Streitparteien auf einen Kompromiss verständigt, der die Nutzung von Laptops unter Auflagen doch ermöglicht.

Plus: Warum sollte in Kiel verboten sein, was anderswo möglich ist?

Minus: Symbolpolitik ohne erkennbaren Nutzwert.

Gesamt: Selbstbeschäftigung der Piraten ins Parlament getragen.

Netzpolitik

Lange Zeit fristete die Netzpolitik ein Nischendasein. Die Erfolgsserie der Piraten im vergangenen Jahr trug dazu bei, das Thema auf der Agenda der großen Parteien nach oben zu befördern, und machte der politischen Konkurrenz klar, dass sie eine Entwicklung verschlafen hatte. Seither versuchen auch SPD und CDU, selbst stärker das Themenfeld zu besetzen. Im SPD-Dunstkreis gründete sich im Herbst 2011 der Thinktank D64, im Frühjahr 2012 riefen konservative Netzpolitiker das CNetz ins Leben. Selbst für Kenner ist der Standpunkt der Partei bei Themen wie dem Urheberrecht nur schwer erkennbar. Kein Wunder: Kaum hatte der Berliner Fraktionschef Christopher Lauer seine eigenen Mitstreiter im vergangenen Herbst mit einem Gesetzentwurf zur Urheberrechtsreform überrascht, wurde das Papier aus den eigenen Reihen in Zweifel gezogen.

Plus: Mit ihrer neuen inhaltlichen Schwerpunktsetzung haben die Piraten mehr Aufmerksamkeit für ein wichtiges Themenfeld geschaffen.

Minus: Die Piraten konnten in diesem Themenfeld zuletzt selbst kaum punkten.

Gesamt: Die Partei ist dabei, der Konkurrenz ihr Kerngeschäft zu überlassen.

Rundfunkrat

Statt selbst einen Abgeordneten in den WDR-Rundfunkrat zu schicken, wie es im politischen Betrieb üblich ist, hat die Piratenfraktion in Nordrhein-Westfalen die Stelle öffentlich ausgeschrieben – als Zeichen „gelebter Transparenz und echter Bürgerbeteiligung“. Begründung: Die Politik habe in Verwaltungsräten öffentlich-rechtlicher Institutionen „nichts zu suchen“. Nach Angaben der Fraktion gingen mehr als 50 Bewerbungen ein. Die Frage nach dem (Piraten-)Parteibuch solle bei der Auswahl keine Rolle spielen. Aber: Ganz sicher würden die Piraten niemanden in das Gremium schicken, dessen politische Linie ihnen widerstrebt. Der Fraktionschef der saarländischen Piraten sitzt allerdings bereits selbst im SR-Rundfunkrat. Parteien sollten ruhig ihre Vertreter in diese Gremien schicken, begründete er in einem Cicero-Interview, sie seien schließlich „Vertreter des gesellschaftlichen Diskurses“.

Plus: lenkt Aufmerksamkeit auf das Problem Rundfunkräte.

Minus: Für welche Linie stehen die Piraten?

Gesamt: unausgegoren.

Straßennamen

Ginge es nach Mercedes-Benz, dann könnte das Unternehmen demnächst nicht nur eine neue Vertriebszentrale in Berlin einweihen, sondern das Gebäude auch über eine werbeträchtig benannte Anfahrtsroute erreichen. Doch statt über eine Bertha-Benz- oder eine Mercedes-Jellinek-Straße werden sich Mitarbeiter und Besucher künftig über die Edith-Kiss-Straße dem Büroturm nähern – benannt nach einer Bildhauerin jüdischen Glaubens, die als Zwangsarbeiterin in einem Daimler-Benz-Werk ausgebeutet wurde. Diesem Vorschlag der Piraten im Bezirksparlament Friedrichshain-Kreuzberg stimmten SPD, Grüne und Linke zu. In einem anderen Berliner Bezirk indes stimmten die Piraten gerade gegen die Umbenennung einer nach dem Antisemiten Heinrich von Treitschke benannten Straße. Begründung: Die Anwohner hätten es mehrheitlich so gewollt.

Plus: Namenswunsch des Anwohners Mercedes-Benz ignoriert.

Minus: Namenswunsch der Treitschke-Straßen-Anwohner befolgt.

Gesamt: (Lokal-)Politik der Piraten ist unberechenbar.

Transparenzgesetz

Seit Oktober gelten für Behörden in Hamburg neue Regeln: Sie sollen von sich aus Akten ins Netz stellen – und diese nicht mehr nur auf Antrag herausrücken. So steht es im Transparenzgesetz, das die Bürgerschaft einstimmig beschlossen hat. Es gilt als die bundesweit fortschrittlichste Regelung dieser Art und geht auf eine überparteiliche Volksinitiative der Organisationen Mehr Demokratie e. V., Transparency International und Chaos Computer Club zurück. Und die Piraten? Sie mischten als Privatpersonen in der Initiative mit – und flößten damals gerade bundesweit der politischen Konkurrenz mit ihrem Einzug in vier Landtage gehörig Respekt ein. „Diese Stimmung hat uns sehr geholfen“, bestätigt Mitinitiator Gerd Leilich von Transparency International.

Plus: Piraten können auch ohne Parlamentssitze wirken.

Minus: Nicht nur Piraten engagieren sich für Transparenz.

Gesamt: Piratenpolitik (fast) ohne Piraten-Label.

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8 Kommentare

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  • A
    Ans

    @Andreas: Da geb ich Dir Recht. Das Unberechenbare an Bürgerbeteiligung sind nun mal die Bürgerinnen und Bürger - deswegen finde ich das Fazit seltsam.

     

    Ansonsten aber ein interessanter kurzer Artikel.

  • F
    FaSi

    Und mal wieder ein Artikel in der taz der vom qualitativen Standpunkt her an dubiose Fakten-Check-Sendungen einschlägiger TV-Anstalten erinnert. Ich bin weder PiratInnen-Wähler noch Sympathisant, jedoch habe ich wiederholt feststellen müssen, dass die taz mit solchen Artikel systematisch versucht diese Partei zu diskreditieren. Ja die PiratInnen machen Fehlern, kommen chaotisch und streitsüchtig daher; ihre Positionen sind in vielen inhaltlichen Bereichen unklar. Es handelt sich jedoch um eine junge Partei, die vollkommen neue Wege in der inner- wie außerparteilichen Mitbestimmung erprobt. Mir persönlich ist der öffentliche Grabenkrieg des Vorstandes lieber als die volkskammerähnlichen Inszenierungen der Konkurrenz mit Minutenapplaus, 99%-Ergebnissen und inhaltsleeren "Diskussionen". Sie zeigen, dass die PiratInnen wirklich eine Basisbewegung sind, die ihre demokratischen Spielregeln über das Wohl der Außendarstellung stellen. Gratulation! Die Grünen sind an diesem Projekt gescheitert, denn es kann mir niemand erzählen, dass die Urwahl der grünen SpitzenkandidatInnen ein Lehrstück in Sachen Demokratie war. Wäre dem so, hätten Basismitglieder gewonnen und nicht ein ehemaliger Minister der gescheiterten Regierung Schröder und eine schwarz-grün Frontfrau.

    Was haben die PiratInnen erreicht? Nun ein neuer Stil hält Einzug in die Politik und dieser sollte in einer Jahresbilanz Erwähnung finden. Stattdessen folgen an dieser Stelle vereinfachende Pro/Contra Aufzählungen deren analytische Aussagekraft sich konsequent auf RTL II-Niveau bewegt. Liebe taz - so geht es nicht!

  • SW
    Sebastian Wiesendahl

    Naja, die Bewertungen und Auslegung ist imo (in my opinion) unter aller Sau, weil die Autorin (Astrid Geisler) wohl nicht verstanden hat, dass hinter all dem die Beteiligung der Bürger an der Politik steht.

     

    Zufälligerweise hatte ich mir das passende Video (Verbesserung der Lebensbedingungen von Bienen) dazu heute morgen erst noch angeschaut, dass angeblich nicht das "Kernthema" der Piraten ist. Also meine Meinung dazu ist ja, dass alles wo es zu wenig oder gar keine Bürgerbeteiligung gibt, oder ohne Einflussnahme-Möglichkeiten das automatisch

    Kernthema der Piratenpartei ist. Außerdem finde ich, dass dies ja gerade mal ein Paradebeispiel von parteiübergreifender Zusammenarbeit ist, die nicht in

    Ideologischen Mustern hängen bleibt, sondern zum konstruktiven Miteinander beiträgt!

     

    Lukas Lamla (@Maltis) zu Verbesserung der Lebensbedingungen von Bienen

    http://www.youtube.com/watch?v=tkP2UB2cm30

     

    Wenn es nach wohl nach der Autorin geht sind wahrscheinlich

    auch die EU Haushalte nicht Kernthema der Piratenpartei, weil das nichts mit Computern zu tun hat :D

     

    Siehe dazu:

    Nico Kern (@TeilerDoehrden) zu EU-Haushalt im Bezug auf NRW

    http://www.youtube.com/watch?v=7wIXOQMfF0o&feature=endscreen

     

    So das musste mal eben raus!

  • W
    Wichtigstes

    Das Wichtigste bei all den Punkten ist, dass Transparenz und Netzpolitik endlich einen Platz in der politischen Debatte gefunden haben und das ist nur [sic!] den Piraten zu verdanken.

  • EM
    Eric Manneschmidt

    Abgesehen von dem reichlich plumpen Bewertungsraster eine gute Übersicht.

     

    Zu ergänzen wäre aber noch folgendes:

    Bei der Urheberrechtsdebatte ist offenbar vielen Piraten noch nicht mal das Problem klar. Sonst würde man wohl nicht solche Sachen wie "Ich (...) will unbedingt, dass Künstler auch künftig von ihrer Arbeit leben können." veröffentlichen. Immerhin haben "die Künstler" mehrheitlich oder im Regelfall noch nie von "ihrer Kunst" leben können.

    ...kommt natürlich drauf an, wie man Kunst und Künstler definiert. https://www.piratenpartei.de/2012/04/09/101-piraten-fur-ein-neues-urheberrecht/

     

    Zweitens kann die teilweise Unterwanderung durch die Tabaklobby nicht unerwähnt bleiben. Virtuos und z.T. über Bande gespielt, direkt aus der Spitze der NRW-Piratenfraktion haben einige Leute eine schmierige Nummer klassischer Klientelpolitik abgezogen. Auch wenn das die Medien kaum aufgegriffen haben und der Coup im parlamentarischen Prozess mangels Mehrheit gescheitert ist: Die Partei (deren Mitglied ich trotzdem noch bin) ist dadurch für viele Leute solange unwählbar geworden, bis vielleicht endlich mal personelle Konsequenzen gezogen werden.

    Siehe u.a. https://lobbywatch.wordpress.com/2012/08/17/tabaklobbyisten-kapern-die-piratenpartei/ einschliesslich der Links bei den Kommentaren sowie diverse wirre Pressemitteilungen der NRW-Fraktion zum Thema.

  • V
    Vim

    Der Artikel trifft es - aus einer bestimmten Perspektive. Wer wirklich bei Piraten mitgewirkt hat, die Strukturen, regionalen Unterschiede und vor allem die (Möchtegern-)Großen aus der ersten Reihe erlebt hat, der nimmt (das Scheitern der) Piratenpolitik natürlich anders wahr. Die sind als Mitmach- und Internetpartei angetreten. Das heißt, die wollten sich um Bürger und um andere Politik bemühen.

     

    Am Ende fehlte es vor allem an menschlicher Reife und an Gestaltungswillen und -fähigkeit. Sowas kann ein Artikel von Außenstehenden leider nur schwer einfangen. Die Dimension des Versagens wird dann aber nochmals gigantischer.

  • J
    Johny

    Ich finde die Aussage: "Minus: Nicht nur Piraten engagieren sich für Transparenz." unter dem letzten Absatz etwas merkwürdig.

    Ist es wirklich ein Minuspunkt, wenn sich auch Andere für etwas einsetzen was, Ihrer eigenen Aussage nach ein Pluspunkt darstellt?

    Man könnte argumentieren, das es zumindest den Piraten die "Monopolstellung" bei diesem Thema streitig macht, allerdings meine ich mich daran erinnern zu können, das die Piraten sich auch auf die Fahne geschrieben haben eine größere Akzeptanz und Stärkung in der öffentlichen Wahrnehmung von eben diesen Themen zu bewriken.

    Aus meiner Sicht wird somit aus dem Minuspunkt zumindest ein neutraler Punkt.

  • A
    Andreas

    Das Beispiel der Treitschke-Straße ist aber sehr konstruiert.

    In Fall der Benz-Straße war es eine neue Straße und ein einzelner Anwohner, im anderen Fall eine Anwohnerbefragung und eine Umbenennung.

    Dass man dort im Sinne der Anwohner gehandelt hat, finde ich absolut korrekt und demokratisch.

    Beide Fälle haben in meinen Augen nur eines gemeinsam: Das es um einen Straßennamen geht. Sie gegenüber zu stellen als Indiz für eine unberechenbare Politik ist ziemlich unfair.