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Piraten werden zur fünften KraftDie verkannte Konkurrenz

Bert Schulz
Kommentar von Bert Schulz

Ignorieren? Abkanzeln? In Berlin tun sich die etablierten Parteien schwer mit den Piraten. Dabei hilft nur eins: Selber offensiv mit den Wählern kommunizieren.

D ie vier alteingesessenen Fraktionen im Abgeordnetenhaus haben sich mit den Piraten bisher – vornehm ausgedrückt – sehr schwer getan. Man merkt das nicht nur daran, dass gerne mal über den Kleidungsstil der Neulinge gelästert wird. Auch die selten fehlende Anmerkung, man werde sich bald auch mal intensiv mit dem Internet befassen, zeigt, wie wenig die Altparteien begriffen haben, was der Einzug der Piraten ins Parlament bedeutet hat: eine Erweiterung des politischen Spektrums. Mit dem Erfolg der Piraten im Saarland dürfte das auch den letzten Hinterbänklern klar geworden sein.

An der Saar wie in Berlin haben die Neulinge in allen Lagern gefischt. Und ihr zentrales Thema heißt nicht Netz, sondern politische Kommunikation. Die Frage, wie die im 21. Jahrhundert funktionieren kann, interessiert längst nicht nur Nerds.

Jetzt dürfen die Alten noch mal tief Luft holen – und sich dann ernsthaft mit der fünften Fraktion auseinandersetzen. Ähnlich übrigens, wie SPD, Union und die schon fast vergessene FDP es nach schmerzhaften Erfahrungen mit den Grünen vor drei Jahrzehnten gemacht haben.

Der Witz dabei: Kommunikation mit den Wählern ist nirgends so einfach wie in einer Großstadt. Statt über das vorlaute Auftreten der neuen Konkurrenz zu lamentieren, können es die Alteingesessenen besser machen. Sie müssen sich nur anstrengen. Wenn sie den bequemen Weg wählen und die Neuen ignorieren, könnten sie später selbst ignoriert werden.

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Bert Schulz
Ex-Leiter taz.Berlin
Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.
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3 Kommentare

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  • S
    Sandor.Ragaly

    Politische Kommunikation, oder: Erneuerung der politischen Kommunikation auf Netzbasis ist in der Tat eine gute Charakterisierung der Piraten-Stoßrichtung. Es deutet zugleich darauf hin, dass dieser Schwerpunkt einer ist, der auf der Ebene der "Sekundärtugenden" oder *Mittel* angesiedelt ist: Den Stil, den Umgang, die Prozeduren der Politik, primär: die Kommunikation, mit Modernisierung und den Kommunikationsweisen der heutigen Jugend zu konfrontieren.

     

    Dabei darf man nicht übersehen, dass diese Ziele der Piraten, wie eben Sekundärtugenden auch, nicht per se gut oder schlecht sind, zumindest in vielen Fällen nicht: Transparenz kann missbraucht werden zur Offenlegung persönlicher oder polit. hochbrisanter Informationen (ohne Rücksicht auf die Folgen evtl., s. Gesinnungsethik) und für Sensationalismus - die direktere Beteiligung breiter Massen, die z.T. zwar über einen Netzanschluss und Selbstbewusstsein verfügen, aber u.U. nicht über die politische Kompetenz, kann wiederum als Chance, aber auch als Problem für unsere absichtlich *repräsentativ* konzipierte Demokratie darstellen. Elektronische Mittel, Datenverknüpfung und Informations-Explosion, dies kann kritischer und offener Politik helfen - aber auch Geheimdiensten, gerade in Diktaturen (denn etwa die Transparenzforderung ist international relevant).

     

    Wenn aber die Piraten - außer in der Frage der politischen Kommunikation, die (1.) an sich wertfrei ist, und (2.) zudem auf die Mittel-Ebene beschränkt und (3.) deshalb von den Etablierten relativ leicht anzueignen ist - eine relevante positive politische Kraft auf Dauer werden wollen, so ist die Verbindung der *Kommunikation* mit dem *politischen*-Adjektiv notwendig:

     

    - mit brisanten, leidenschafts-behafteten Themen (issues) und prägnanten Alternativ-Weltanschauungen, Dinge, die sie bei Weitem nicht so aufweisen wie die frühen GRÜNEN. Die Piraten kranken an ihren issues, das IT-Thema reicht da, so wichtig es ist, nicht aus, und viele Dinge sind selbst dort unausgegoren. Hinzu kommt die Heterogenität der Piraten, die gerade diese Meinungsbildung erschweren wird; da nützt kein Abwälzen auf die breite demokratische Meinungsbildung, die die neue Technik verbessert. Am Ende muss doch aggregiert werden, eine Partei-Aussage stehen.

     

    - Immerhin muss man aber auch sehen, dass die Veränderung der *Form*, der polit. Prozeduren, Kommunikationsweisen natürlich von sich aus auch die politischen *Inhalte* beeinflussen wird. Dieser allgemeinere, schwer abschätzbare Einfluss ersetzt für die Piraten jedoch kaum die Meinungsbildung und den Kampf im Rahmen bestimmter konkreter Themen.

     

    Ich weiß deshalb nicht, welche Zukunft diese Partei hat, wenn der Reiz des Neuen, Auffälligen und die Nutzung als Protestpartei durch die Wähler nach und nach verfliegt UND gleichzeitig der Schwerpunkt der Piraten - wie gesagt die politische Kommunikation, also eher die Mittel-Ebene - von den anderen Parteien absorbert ist.

  • B
    Bürger

    Die Berliner Grünen sind in der online-Kommunikation mit den WählerInnen seit der Wahl 2011 volles Rohr gescheitert.

     

    Das haben alle gemerkt, die auf dem online-"Mitsprache-Portal" der Grünen Antworten auf ihre Fragen haben wollten.

     

    http://www.freitag.de/community/blogs/lila-lueftchen/berliner-gruene-im-online-krampf

     

    Wann berichtet die taz endlich darüber?

  • Z
    Zafolo

    Ich fände es ja super, wenn sich die Piraten mal mit dem Thema Peak Oil beschäftigen könnten.

     

    Denn erstens, die Altparteien - Grüne mit wenigen Ausnahmen eingeschlossen - machen bisher einen großen Bogen um das Thema. Womit wir wieder bei einem der großen Themen der Piraten wären: Transparenz.

     

    Zweitens handelt es sich um ein Mega-Risiko, dem man teilweise durchaus mit durchdachten und finanzierbaren Maßnahmen begegnen kann.

     

    Und drittens wird gerade von den Piraten nicht erwartet, dass sie gleich Lösungen für alles liefern. Dafür sind die Dinge auch zu kompliziert geworden. Der Drang nach Lösungen kommt nicht von ungefähr mit dem Drang, regiert zu werden. Das Problem Peak Oil jedoch liefert keine konjugierten Lösungen, wohl aber jede Menge Gestaltungsspielräume.

     

     

    Und viertens sind die Grünen einfach zu fett geworden, zu etabliert, zu anhänglich ans Bestehende in dem sie sie mittlerweile gut eingerichtet haben. Da werden Themen vermieden, welche die Wähler verschrecken könnten. Es sind nicht nur Leute wie Wulff, die scheinbar nach dem Kriterium ausgewählt werden, dass sie uns Bürgern den Kontakt mit der Realität nach Kräften ersparen.