Piraten-Parteitag: Crowd und Rüben
Für die Piraten geht es bei der Bundestagswahl ums Ganze – doch sie quälen sich mit dem Spagat zwischen Idealen und politischen Alltagszwängen.
BERLIN taz | Alle gemeinsam sollten die Wahlkampfslogans auswählen. Basisdemokratisch, damit sich – dank der Kreativität des Schwarms – die besten Ideen durchsetzen. Ganz, wie es dem Piraten-Ideal entspricht. Erst sammelte die „Strategiegruppe Bundestagswahl“ mehr als 1.500 Vorschläge, dann mailte der Parteivorstand eine Onlineumfrage mit 42 ausgewählten Slogans an die Mitgliedschaft. So sollte bis Ende April der perfekte Themen- und Mottomix entstehen.
Doch die Parteirealität war mal wieder komplizierter als die schöne Idee von der Weisheit der Vielen. Die zehn Slogans, für die immerhin 1.549 Piraten per Mausklick votierten, hätten „dem Bundesvorstand nicht gefallen“, protokollierte die für die Plakatkampagne zuständige „Servicegruppe Gestaltung“. Dumm gelaufen. Was tun?
Die Zeit drängte, Deadlines standen an. Schließlich entschied der Vorstand von oben herab, so wie man es aus anderen Parteien kennt: Der Mix könne so nicht bleiben, die Slogans seien zu ähnlich, einige zu abgestanden. Von der Basis favorisierte Uraltsprüche wie „Klarmachen zum Ändern“ wurden kurzerhand aus dem Sortiment geworfen. Basta.
Ein Beispiel von vielen, das demonstriert, wie die Piraten sich quälen mit dem Spagat zwischen ihren Idealen und den politischen Alltagszwängen. Es geht jetzt ums Ganze für die Partei. Ziehen die Piraten im Herbst nicht in den Bundestag ein, steigen sie in die Zweite Liga ab. Ihnen droht die Depression.
Der dreitägige Bundesparteitag, der am Freitag im bayerischen Neumarkt beginnt, garantiert den Newcomern noch einmal jene große Aufmerksamkeit, die sie inzwischen nur noch selten bekommen. Von diesem Parteitag, da sind sich ausnahmsweise alle einig, müsse ein Signal ausgehen. Nur welche Botschaft soll das sein? Mit welcher Idee könnten die Piraten ihre enttäuschten Fans bis zur Bundestagswahl noch einmal packen?
Onlineparteitage? „Völlig gleichgültig“
Man kann sich dieser Tage mit vielen Parteipromis unterhalten, ohne eine überzeugende Antwort zu finden. Einflussreiche Berliner Piraten hoffen, dass der Bundesparteitag die Einführung von Onlineparteitagen beschließt und den Piraten damit ein neues politisches Alleinstellungsmerkmal verschafft. Ihre innerparteilichen Gegenspieler, darunter der bayerische Landeschef Stefan Körner und Parteivize Sebastian Nerz, wollen eben dieses Projekt in Neumarkt verhindern. Den meisten Menschen, argumentiert Nerz, seien Onlineparteitage ohnehin „völlig gleichgültig“.
Neben der Wahl eines neuen Geschäftsführers will sich die in Umfragen abgestürzte Piratenpartei von Freitag bis Sonntag auf ein Programm für die Bundestagswahl einigen. Während beim Parteitag in Bochum Ende 2012 noch mehr als 700 Anträge um einen Platz auf der Tagesordnung konkurrierten, sind es diesmal noch gut 250 – davon 173 Initiativen für das Wahlprogramm.
Ganz oben auf der Agenda stehen traditionelle Kernthemen. Ein Berliner Pirat hat eine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität im Wahlprogramm beantragt. Weit oben gelistet ist auch eine Initiative für bundesweite Volksentscheide. Bayerische Piraten fordern zudem die Abschaffung des großen Lauschangriffs. Ebenfalls eingereicht wurde ein Antrag zum Verbot von „Bundes- oder Staatstrojanern“.
Mit ein bisschen Glück werden die Piraten, wie zuletzt in Bochum, auch mit dem einen oder anderen Gagaprojekt ihr Vergnügen haben. Ein Pirat will das Kapitel Außenpolitik um eine Initiative zur „Besiedlung des Mars“ ergänzen. Zwei Mitglieder beantragen, die „Erforschung von Zeitreisen“ ins Wahlprogramm aufzunehmen, „mit dem Ziel, sie noch in diesem Jahrzehnt Realität werden zu lassen“ – ein Projekt, mit dem sie schon beim Parteitag Ende 2012 für beste Unterhaltung gesorgt hatten. In der Begründung schreiben sie: „Der Antrag ist selbsterklärend.“ (agx)
So geht das in vielen Fragen. Die einen setzen auf einen zündenden Straßenwahlkampf. Die anderen argumentieren, damit könne man nichts mehr herumreißen. Die Crowd zankt, sie zerrt in verschiedene Richtungen – die große gemeinsame Idee ist nicht in Sicht.
Marina Weisband, die bekannteste Piratin der Republik, ist in bester Gesellschaft, wenn sie dieser Tage gern mal von 2011 spricht. Auffallend viele Piraten verweisen im Augenblick auf die guten alten Zeiten. Im Frühjahr vor zwei Jahren, so die Argumentation, habe die Piratenpartei auch noch keine tolle Kampagne bieten können – und sei im Herbst dennoch mit großem Erfolg ins Berliner Landesparlament eingezogen. Will heißen: Planlosigkeit hat Tradition bei den Piraten. Das Happy End ist trotzdem drin.
„Ein Masterplan existiert nicht“
Martin Delius, einer der 15 Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus, sagt sogar ganz offen: „Ein Masterplan existiert nicht.“ Er meint das nicht negativ – im Gegenteil: „Solange wir den nicht haben, sind wir noch die Partei, die wir sein wollen“, behauptet er. Alle in der Partei seien verantwortlich dafür, wie es jetzt weitergehe. „Offene Netzwerke funktionieren nur, wenn jeder seine Verantwortung wahrnimmt.“
Eine Zeit lang hat dieses Modell geklappt. Mit ihrer Unprofessionalität kamen die Piraten sympathisch rüber. Doch die Ansprüche an die Partei haben sich geändert. Die Wähler wollen wissen, wofür die Piraten wirklich stehen. Im Bundestagswahlkampf konkurrieren die Neulinge mit den Wahlkampfzentralen der großen Parteien und deren Millionenbudgets. Während die einen ihre Strategien professionell orchestrieren, wursteln die anderen vor sich hin.
Die Vorbereitung des Wahlkampfs sei wegen der dezentralen Strukturen „nicht ganz einfach“, sagt Parteivize Sebastian Nerz, der die interne Strategiegruppe zur Bundestagswahl leitet. Er ist im Bundesvorstand für den Wahlkampf der Partei zuständig. Fragt man ihn nach dem Budget, wird es kurz still am anderen Ende der Leitung. Nerz murmelt, das könne er spontan nicht sagen, verspricht, die Zahl nachzureichen. Die Antwort bleibt aus. Die Partei stehe aber mit den Vorbereitungen „ganz gut da“. Hinter vorgehaltener Hand wird bereits gelästert, er habe das Projekt des Jahres „verkackt“. Insofern hat Nerz recht: Einfach scheinen die Vorbereitungen nicht.
Groteske Debatte
Noch mal würden die Piraten den Wahlkampf wohl nicht so angehen. Auch aus dem Chaos-Parteitag in Bochum Ende 2012 haben sie gelernt. Was vor fünf Monaten noch als Avantgarde verkauft wurde, gilt heute als ineffizient. In Bochum startete der Parteitag mit einer grotesken Debatte über elf verschiedene Tagesordnungsvorschläge. Damals hatte allein die Parteiführung vier verschiedene Fahrpläne ins Rennen geschickt – die Basis sollte die Wahl haben.
Jetzt präsentiert der Vorstand nur noch eine Tagesordnung für Neumarkt, verbindlicher Zeitplan inklusive. Die Möglichkeit, Alternativvorschläge einzureichen, habe man diesmal „nicht groß beworben“, sagt Bundesvorstand Klaus Peukert. Er grinst. „Wenn man was Gutes gebastelt hat, nehmen die Leute es auch an.“ Top-down-Politik nach Piratenart. Vielleicht wird es die Basis ihm sogar danken.
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