Pilotprojekt Autonomes Fahren: Ohne Fahrer zur Klinik
Ab kommendem Jahr sollen autonome Minibusse über die beiden Charité-Campusse in Mitte und Wedding kurven.

Jede Wette: Wenn wir die gestrigen Bilder in 30 oder 40 Jahren noch einmal betrachten, werden sie uns vorkommen wie jene vergilbten Aufnahmen aus der Frühzeit des Automobils: von Herren mit Zylinderhüten, die in Benzinkutschen über leere Straßen chauffiert werden, während ihr halb belustigter, halb skeptischer Blick verrät, dass sie so richtig noch nicht an die Zukunft dieses Fortbewegungsmittels glauben.
Immerhin haben die, die am Montag ein wenig steif von einem verkehrstechnischen Novum Gebrauch machen, dessen Entwicklung zuvor in den höchsten Tönen gelobt: Michael Müller, Regierender Bürgermeister, und seine Wirtschaftssenatorin Roman Pop (Grüne) sprechen viel von Berlin als „Innovationslabor“ und vom „neuen Mobilitätsmix“, der unser aller Leben ein bisschen besser machen werde, bevor sie in einen fahrerlosen Kleinbus zur Probefahrt über das Charité-Gelände in Mitte klettern. „Diejenigen, die den heutigen Termin festgelegt haben, konnten es kaum besser treffen“, sagt Müller, der auch in seiner Funktion als Wissenschaftssenator und Charité-Aufsichtsratschef erschienen ist.
Die Vorstellung eines Pilotprojekts von Senat, BVG und Universitätsmedizin, bei dem vier autonom fahrende Busse auf den beiden Campussen im Linienverkehr betrieben werden sollen, markiert für Müller einen hoffnungsvollen Kontrapunkt zu Abgas-Skandal und Diesel-Gipfel. „Die deutsche Automobilindustrie droht den Anschluss bei der Elektromobilität zu verlieren“, so der Regierende, aber Berlin nehme das Thema einfach selbst in die Hand – mit Fördergeldern des Bundesumweltministeriums, muss man hinzufügen. Ramona Pop, ihres Zeichens Aufsichtsratschefin der BVG, spricht von einem Kartell der Fahrzeughersteller gegen die Elektromobilität, das aufgebrochen werden müsse.
Dabei geht es bei den kleinen E-Bussen, von denen zwei anschließend für die Presse zum Einsatz kommen, nur am Rand um die abgasfreie Antriebstechnik. Die Pointe bei dem – warum auch immer – „Stimulate“ genannten Pilotprojekt ist das autonome Fahrprinzip, bei dem Algorithmen das handwerkliche Können und die Intuition eines Fahrers ersetzen sollen. Dazu sind die Busse für ein knappes Dutzend Fahrgäste von den Ingenieuren der Firmen Easy Mile (Frankreich) und Trapeze (Schweiz) mit allerlei Sensoren, Kameras und Rechenkapazität ausgestattet worden.
Schneller als 20 km/h dürfen sie im Testbetrieb nicht fahren, und das Straßenland vor den Toren des Campus Mitte und des Virchow-Klinikums in Wedding ist tabu – schließlich sind autonome Fahrzeuge noch nicht für den öffentlichen Betrieb zugelassen: Zu groß sind die Unwägbarkeiten der Technologie.
Nur Zynikern kann der Gedanke durch den Kopf spuken, dass die Charité mit Bedacht gewählt wurde, weil bei einem potenziellen Technik-Versagen gleich die Notfallmedizin zur Stelle ist. Charité-Chef Karl-Max Einhäupl erklärt, warum seine Klinik-Gelände perfekt für den Test der flüsterleisen Minibusse seien: „Es sind kleine Abbilder der Stadt, mit Straßen und Kreuzungen, mit Pkw, Bussen, Lieferwagen und Fahrrädern – und mit Krankentransporten, die natürlich Vorrang haben.“
Alles wird evaluiert
Am Ende hätten die 7.000 Studierenden und 16.000 Beschäftigten, aber auch die PatientInnen und BesucherInnen genügend Erfahrungen mit den Fahrzeugen gesammelt, die zu Evaluationszwecken abgefragt werden können.
Bis dahin wird aber noch eine ganze Menge Zeit vergehen. Erst einmal müssen die entsprechenden Busse angeschafft werden, die Fahrzeuge am Montag sind nur zu Präsentationszwecken ausgeliehen. Laut BVG-Sprecherin Petra Reetz, läuft aber schon die Ausschreibung, bei der – so ist hinter den Kulissen zu hören – überhaupt nur die beiden anwesenden Hersteller eine Chance haben.
Im ersten Quartal 2018 soll es erste Testfahrten geben, die Fahrzeuge werden dann per „Mapping“ an ihre neue Umgebung eingenordet. Bis Ende 2018 finden begleitete Fahrten statt, bei denen Personal in Problemsituationen eingreifen kann. Erst von Anfang 2019 bis Anfang 2020 soll dann wirklich autonom gefahren werden.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!