Pierre-Huyghe-Retroperspektive in Köln: Federngeschmückte Damenbluse

Der französische Künstler schafft mit Hündin, Ameisen und Pflanzen Situationen und geschlossene Lebensräume, die geradezu verstören.

Fische im Museum: „Made Ecosystem“ von Pierre Huyghe. Bild: dpa

Doch, es ist schon ein erhebendes Gefühl, bei einer Ausstellung per Akklamation angekündigt zu werden. Am Eingang der Retrospektive des französischen Künstlers Pierre Huyghe im Kölner Museum Ludwig steht ein „Name Announcer“, der wie der Hofmarschall beim königlichen Ball die Namen von Neuankömmlingen in die Ausstellungsräume ruft.

Die Arbeit von 2011 ist, wenn man sich denn erst mal mit dem Gedanken angefreundet hat, dass ein menschlicher Ausrufer ein Kunstwerk sein kann, typisch für das Werk des 51-Jährigen, das sich aus der Kontextkunst der 90er Jahre entwickelt hat. In dieser Episode der postmodernen Kunst wurden die Institutionen des Kunstbetriebs Museum, Galerie, Akademie, Kunstkritik selbst zum Gegenstand künstlerischer Interventionen.

Huyghe entwickelte den Ansatz der Kontextkunst weiter, indem er seine Eingriffe zu immer elaborierteren Mitmachspektakeln werden ließ, ein Ansatz, den der französische Kunstkritiker Nicolas Bourriaud als relationale Ästhetik bezeichnet hat, bei welcher der Künstler Situationen schafft, die erst durch die Interaktion mit dem Publikum vollendet werden. Statt toten Objekten begann Huyghe, Lebewesen und Pflanzen als Kunstwerke auszustellen. Die Oper von Sydney wurde mit tausend Bäumen zu einem Wald umfunktioniert, für eine andere Ausstellung unternahm der Künstler eine Expedition zum Südpol.

Wie andere Kontextkünstler profitierte auch Huyghe davon, dass die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Kunstbetrieb für die Entscheider in dieser Szene von unendlicher Faszination war und ist: Plötzlich standen die Aktivitäten der Kunstinstitutionen selbst im Mittelpunkt der Kunst, die sie eigentlich nur vermitteln sollten.

Die Kontextkunst, im Grunde ein relativ kurzlebiges Phänomen, hat darum bis heute ihre Spuren in der zeitgenössischen Kunst hinterlassen. Was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass Huyghes Retrospektive neben der Kölner Station auch noch im Centre Pompidou in Paris und dem Los Angeles County Museum of Art gezeigt wird.

Abgelatschte graue Teppichböden

Im Museum Ludwig wird man gleich am Eingang von einer institutionskritischen Arbeit der ganz alten Schule begrüßt: Der Künstler ließ abgelatschte, graue Teppichböden aus dem Verwaltungstrakt des Museums in der Ausstellung verlegen. Die ganze Ausstellung ist in die Museumsarchitektur einer Mike-Kelley-Show einquartiert, die zuvor im Centre Pompidou zu sehen war. Weil die Stellwände schon entsorgt waren, als Huyghe auf die Idee kam, sie auch in Köln zu benutzen, mussten sie am Museum Ludwig nachgebaut werden. Bohrlöcher und Dübel in der Wand von der dort vorangegangenen Louise-Lawler-Ausstellung ergänzen die institutionelle Nabelschau.

Und damit nicht genug: An zwei Stellen hat Huyghe die weiße Farbe von den Museumswänden abschleifen lassen, was die Wandbemalung von früheren Ausstellungen erscheinen lässt. Mehr als dreißig Jahre, nachdem Michael Asher mit solchen Methoden den White Cube des Ausstellungsraums dekuvrierte, wirken solche Sperenzchen inzwischen selbst museal.

Je mehr Huyghe das Museum Museum sein lässt und seinem anarchistischen Spieltrieb folgt, desto stärker sind seine Arbeiten. Ein winziges Loch in der Wand, aus dem Ameisen gekrochen kommen, appelliert an ein Urgrauen, das ähnlich effektiv in Buñuels und Dalís „Ein andalusischer Hund“ getriggert wird.

Bienenschwarm auf dem Kopf

Eine steinerne Frauenskulptur, auf deren Kopf sich ein Bienenschwarm angesiedelt hat (entstanden für die letzte Documenta), scheint direkt aus einem bösen Traum zu kommen. Eine mit Federn geschmückte Damenbluse, die ohne weitere Erklärung an einer Überwachungskamera hängt, ist vollkommen frappierend. Und dann ist da noch die ebenfalls von der letzten Documenta bekannte Hündin mit der pinken Pfote, die durch die Ausstellungshallen stromert, oft begleitet von einem menschlichen Player mit einer leuchtenden Maske vor dem Gesicht.

Unfreiwillig zeigt dieser Überblick über seine Arbeiten allerdings auch die Schwächen von Huyghes Versuchen auf, den Kunstbegriff zu erweitern. Mögen einzelne seiner Arbeiten in Gruppenausstellungen erfrischende Noten setzen, wird in der Häufung ihre Methode überdeutlich, Kunstfernes zum Kunstobjekt umzuwidmen: lebendige Spinnen als Kunstwerk, Wasserdampf als Kunstwerk, eine Eisfläche als Kunstwerk, Schimmelgeruch als Kunstwerk, Ausstellungsbesucher als Kunstwerk.

Pierre Huyghe. Bis zum 13. Juli im Museum Ludwig, Köln. Katalog (Hirmer Verlag), 45 Euro

Oft sind diese Transformationen in elaborierte, idiosynkratische Narrative eingebettet oder erwachsen aus den Aktionen, die Huyghe anderswo inszeniert hat. Je größer angelegt diese Aktivitäten waren, desto schwerer sind sie stellvertreten durch ein Relikt oder einen Film nachzuvollziehen. Vielleicht war an der Sache mit der Kontextkunst und der künstlerischen Institutionskritik also doch etwas dran.

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