■ Scheibengericht: Pierre Favre Singing Drums
Souffles (Intakt CD049)
So dreht man den Spieß um! Die Schlagzeuger lassen die Trommeln sprechen, die Felle singen und die Metallbecken summen und weisen den Melodieinstrumentalisten Statistenrollen zu, aus denen sie nur sporadisch für knappe solistische Alleingänge entlassen werden. Mit seinem „Singing Drums“-Ensemble praktiziert Pierre Favre – einer der profiliertesten Drummer der europäischen Jazzszene – den Rollentausch. Das ist leichter gesagt, als getan. Denn: Gefahren lauern überall! Aus einem langgehegten Minderwertigkeitskomplex heraus neigen Schlagzeuger im Scheinwerferlicht dazu, erst einmal die Muskeln spielen zu lassen. Sie zeigen alles, was sie „drauf“ haben und verlieren sich allzu leicht in reiner Geschwindigkeitsakrobatik.
Pierre Favre ist sich dieser Verführung bewußt und legt sich und seinen Trommelpartner Lucas Niggli an die kurze Leine. Eine detailgenaue Partitur verordnet eiserne Disziplin, von der keinen Zentimeter abgewichen wird. An Klangfarbe kommt die ganze Palette ins Spiel, die das globale Perkussionsarsenal bereithält. Der Fundus ist enorm und reicht von afrikanischen Tonkrugtrommeln über Gongspiele und Klanghölzer aus Asien bis zu orientalischen Metallcymbals. Daraus werden feinabgestufte Rhythmusteppiche geflochten, deren polyrhythmische Struktur sich oft bis zu einem ultimativen Punkt steigert, um dann in eine Unisono-Passage mit den Blasinstrumenten zu münden, die den melodischen Faden weiterspinnen.
Ein Totenmarsch gräbt sich ins Gedächtnis ein. Das dumpfe Dröhnen einer Felltrommel gibt der Trauergemeinde die schreitende Gangart vor, was der Zeremonie ihren rituellen Charakter verleiht. Unmerklich schiebt sich ein Gitter filigraner Schlagmuster darunter, über das Michel Gordad einen choralartigen Chorus auf dem Serpent bläst, einer barocken Holztrompete, in Form einer Schlange, mit weichem Timbre. Obwohl oft totgesagt, wird hier sicherlich nicht der Jazz zu Grabe getragen.
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