: Piepsen für Claudia Nolte
■ Das Berliner Kleinlabel Modern Music hat wieder Ärger wegen eines Liedtexts: Vor 14 Jahren ging es um Polizistenbeleidigung durch eine Hausbesetzer-Band, diesmal um Beleidigung der Bundesjugendministerin
Claudia Nolte war nicht amüsiert, als sie kürzlich erfuhr, daß sie einen langhaarigen Rocker erst betrunken und dann Liebe mit ihm gemacht haben soll. Sie, die deutsche Ministerin für Jugend, Familie und Senioren. Flugs schickte sie einen Stab von Anwälten auf die Spur und einen Brief an jenen „Herrn Vicki Vomit“, der in seinem Lied „Claudia liebt mich“ beschreibt, wie „ihr Busen vor Geilheit wabberte“. Von dem Thüringer Landsmann sieht sich die Politikerin in ihrer „Persönlichkeit verletzt“, weshalb sie das „perverse“ Lied verbieten ließ. Der Song darf nicht mehr live und im Radio gesungen und auch nicht auf CD weiterverbreitet werden. Den Verkauf des Albums „Bumm Bumm“ von „Vicki Vomit und die Kraft der zwei Herzen“ mußte deren kleine Berliner Plattenfirma Modern Music einstellen. Auch dem Musikmagazin Musikexpress/ Sounds, auf dessen mitgeliefertem CD-Sampler der Titel enthalten ist, wurde verboten, weitere Exemplare der aktuellen Ausgabe auszuliefern. Zuwiderhandlungen sind mit einem Strafgeld von einer halben Million Mark belegt.
Aus Angst vor dieser Bußsumme hat sich das seit Anfang der achtziger Jahre existierende Independent-Label natürlich an die Verfügung der Nolte-Anwälte gehalten. Trotzdem ist der Fall damit für sie noch lange nicht erledigt. Bei Modern Music ist seit einigen Tagen der Teufel los, die Auswirkungen dieses einen Songs über Claudia Nolte hält die Angestellten der Firma gehörig auf Trab. Insbesondere der Advokatenstab der Bonner Ministerin. Die begnügten sich nämlich nicht mit der Unterlassungsverfügung, sondern verlangten inzwischen sogar die Herausgabe aller Adressen, an die die mit der Radio- und TV-Promotion beauftragte Agentur die CDs bereits verschickt hat. Diverse Redaktionen werden wohl demnächst Post von den Nolte-Anwälten bekommen.
Björn Schrenk, Promotion- Mann bei Modern Music, spricht von „knallharter Zensur“. Das sei zwar „werbetechnisch ganz lustig“, mache aber langsam keinen Spaß mehr. Nicht nur, daß es Verkaufseinbußen gebe – 900 CDs schickte der Handel bereits zurück –, es sei nicht auszuschließen, daß „der finanzielle Schaden den plötzlichen Promotion-Gewinn übersteigt“.
Um es nicht soweit kommen zu lassen, ist man in der Kurfürstenstraße mächtig am Wirbeln. Eine neue Fassung des Albums ist letzte Woche auf den Markt gekommen – auf dem beanstandeten Titel gibt es bei „Nolte“ und „Prominentenball“ nun Pieptöne. Demnächst soll noch eine Single erscheinen, die die Affäre kreativ verarbeitet: „Claudia liebt mich nicht mehr“, heißt es auf der A-Seite. Noltes Name fällt jedoch nicht mehr. Auf der B-Seite: „Der Anschiß lauert überall.“
Modern Music hat Erfahrung mit solchen Dingen. Anfang der achtziger Jahre hatte die Hamburger Band Slime, die der Hausbesetzerszene sehr nahestand, den Titel „Wir wollen keine Bullenschweine“ produziert. Kurz nach Erscheinen der Platte beehrte die Polizei das Label sogleich mit einer Hausdurchsuchung. Außerdem mußten die „Bullenschweine“ aus dem Text verschwinden, was 1982 ebenfalls durch Piepseinlagen realisiert wurde. Es trug letztlich aber auch dazu bei, daß die Band endgültig Kultstatus in der autonomen Szene erlangte und das Album „Slime1“ noch heute zu den bestverkauften aus dem Backkatalog des Labels gehört. Wenn auch der Fall von Vicki Vomit mehr durch die Funktion Claudia Noltes ein Politikum ist, so könnte ihm doch vielleicht ähnliches widerfahren. Schließlich ist die Popularität des 31jährigen Erfurter Schmähtexters gewaltig gestiegen. Wodurch auch seine sonstigen Werke verstärkt Aufmerksamkeit genießen.
Vicki Vomit ließ freilich schon beim ersten Konzert nach der anwaltlichen Verfügung, das just in Berlin stattfand, wenig Distanz zum eigenen Skandalwerk erkennen. Er verzichtete – unter dem Jubel der Fans – keineswegs komplett auf den Song, sondern sang nur einen weniger anstößigen Text. Sein Auftritt unter dem Motto „Saufen & Humanismus united“ belegte zudem, daß seine Einschätzung des Claudia-Liedes als „harmloser Scherz“ wohl stimmt. Über Deutschlands Tenniskönigin singt er beispielsweise: „Ich habe Steffi Graf gekillt.“ Der tabulose Poet charakterisiert sein Repertoire denn auch offen so: „Ich mache eigentlich nur schmutzige Lieder, in denen ich über irgendwelche Leute herziehe.“
Für die kompromißlose Selbstverteidigung der prominenten Altersgefährtin hat Vicki Vomit seine eigene Erklärung: „Vielleicht hat sie sich gedacht: Der Junge stammt wie ich aus Thüringen, dem gebe ich eine Chance und hänge die Sache richtig an die große Glocke, dann kommt der groß raus.“ Wenn's so stimmte, dann wäre Claudia Nolte schon vor dem Regierungsumzug sicher ein immer gern gesehener Gast im Hause Modern Music. Gunnar Leue
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