Pick Pockets: Urlaub von Raum und Zeit
■ Literatur jenseits des Betäubungsmittelgesetzes: Drogen bei Sinclair, Burroughs und Huxley
Das deutsche Betäubungsmittelgesetz stellt immer noch die Verbreitung solcher Literatur unter Strafe, die den Gebrauch von Drogen „verherrlicht“. Würde dieser kuriose Index konsequent angewandt, fielen ihm beträchtliche Mengen Weltliteratur zum Opfer – so etwa Aldous Huxleys „Moksha“, jenes Buch, in dem die wesentlichen Äußerungen des englischen Autors zur Frage der Bewußtseinserweiterung durch Drogen versammelt sind: Essays, Interviews, Briefe und Romanauszüge.
Im Mittelpunkt stehen Huxleys Erfahrungen mit LSD und Meskalin. „Moksha“ heißt auf Sanskrit „Befreiung“, und Huxley hielt den kontrollierten Gebrauch von Halluzinogenen für eine die menschliche Psyche befreiende Tat.
„Überall und zu allen Zeiten haben Menschen Mittel gesucht und auch gefunden, um der Wirklichkeit ihrer gewöhnlich langweiligen und oft auch äußerst unerquicklichen Existenz zu entkommen: zu einem Urlaub außerhalb von Raum und Zeit, in der Ewigkeit von Schlaf und Ekstase, im Himmel oder in einem Zwischenbereich visionärer Phantasien.“ Das Vorwort zu diesem Standardwerk über Drogen und Rausch stammt von Albert Hofmann, dem Erfinder des LSD; im Nachwort weist Oskar Sahlberg darauf hin, daß Huxleys einschlägige Schriften deshalb so anregend, zugleich aber auch provozierend sind, weil er nicht für den Rückzug ins Private plädiert habe, sondern seine Erkenntnisse auch allgemein gesellschaftlich angewendet wissen wollte.
William S. Burroughs, Autor so einflußreicher und avantgardistisch-innovativer Werke wie „Soft Machine“ und „Naked Lunch“, war ein Abenteurer, ein Globetrotter in der Außenwelt und ein Astronaut im inneren Kosmos, in den wogigen Regionen der Drogen. Nach 25 Jahren, die er in einer Art selbstgewähltem Exil in Mexiko, Tanger, Paris und London verbracht hatte, kehrte er 1974 nach New York zurück und quartierte sich in den ehemaligen Umkleidekabinen eines Fitneßcenters ein. Die Räumlichkeiten hatten kein Fenster und wurden deshalb „der Bunker“ genannt. Hier führte Burroughs als eine Art Hohepriester der Beat-Generation einen merkwürdigen Salon, empfing Prominente und weniger Prominente aus der Pop- und Kulturszene und debattierte mit ihnen über Kunst, Leben und Liebe, über das Schreiben und über Träume, Drogen und Sex.
Der Journalist Victor Bockris hat diese Interviews und Gespräche zu einem Buch zusammengestellt, in dem sich der Herausgeber zwar als eitler Dummkopf outet, in dem es aber glücklicherweise hauptsächlich um Burroughs geht, um William S. Burroughs im O-Ton sozusagen, der sich hier u.a. mit David Bowie, Mick Jagger, Frank Zappa, Andy Warhol und Susan Sontag unterhält.
Seine laut Selbsteinschätzung zwar unangemessene, keineswegs aber sexuelle Beziehung zu einer Praktikantin hat US-Präsident Bill Clinton schwer geschadet; nicht geschadet hat ihm demgegenüber das Bekenntnis, als junger Mensch einmal an einem Joint gezogen, dabei aber keineswegs inhaliert zu haben. Vielleicht erfahren wir eines Tages auch noch, daß Clinton LSD genommen, dabei aber natürlich nicht halluziniert hat. Zum Beraterkreis des Präsidenten gehört nämlich der Psychopharmakologe Ronald K. Siegel, dessen informatives, gut lesbares Buch mit dem Titel „Halluzinationen. Expeditionen in eine andere Wirklichkeit“ sich gegen die Vorstellung wendet, daß es eine objektive Form der Wahrnehmung gebe. In Selbstversuchen mit und ohne Drogen und zahlreichen Interviews hat Siegel versucht, der Vielfalt, den Gesetzmäßigkeiten und Ausdrucksformen jener veränderten Wahrnehmung auf die Spur zu kommen, die man der Einfachheit halber unter dem Begriff Halluzination subsumiert.
Während all der Jahre, die der gute, vor einigen Monaten verstorbene Carlos Castaneda selig mit seinem Don Juan verbracht haben will, haben die beiden so manches Pfeifchen mit halluzinogenem Knaster geschmaucht. Und all die Bücher, die Castaneda darüber geschrieben hat, haben inzwischen allerlei Nachahmer gefunden. Als besonders dreister Kopist erweist sich der Engländer Reshad Feild mit seinem Buch „Das Siegel des Derwisch“.
Während Feilds erstes Buch „Ich ging den Weg des Derwisch“ immerhin noch geographisch Abstand zu Castaneda hielt, trampelt dieser Text mitten durch Castanedas mexikanische Landschaft und dessen Motive: Schamanen, Magier, Hexen. Hier empfiehlt sich dann doch eher Abstinenz.
Solange „weiche“ Drogen kriminalisiert bleiben, Alkohol aber nicht einmal als Droge verstanden wird, bleibt das Betäubungsmittelgesetz eine Farce. Über Alkoholmißbrauch gibt es einen unverwüstlichen Klassiker, nämlich Upton Sinclairs wuchtigen Roman „Alkohol“ von 1931. Zwar trieft das Buch von Betroffenheit und dem, was man gesundheitspolitisches Engagement nennen könnte, liest sich aber immer noch, wenn denn dieser Ausdruck hier angemessen ist, erstaunlich süffig und liefert ein genaues Porträt Amerikas während der Prohibitionszeit, in der nicht Marihuana, sondern Alkohol verboten war. Das ist ziemlich lange her. Klaus Modick
Aldous Huxley: „Moksha“. Serie Piper
Victor Bockris: „William S. Burroughs – Bericht aus dem Bunker“. Ullstein Taschenbuch
Ronald K. Siegel: „Halluzinationen“. rororo
Reshad Feild: „Das Siegel des Derwisch“. rororo
Upton Sinclair: „Alkohol“. Serie Piper
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen