Philipp Fürhofers Installation in Augsburg: Gewollter Kontrollverlust

Mit „Reflexzone“ verwandelt Philipp Fürhofer den Kunstverein Augsburg in ein Kabinett theatralisch inszenierter Täuschung.

Bespiegelte Stellwände im Museumsraum

Virtuose Lichtregie: Philipp Fürhofers Installation Foto: Kunstverein Augsburg

Picobello ist es in der Augsburger Unterstadt, im Lechviertel, in dem einst die Handwerker, die einfachen Leute lebten. Im Schatten der Patrizierhäuser der geld- und kunstsinnigen Welser und Fugger, die hoch über ihren Dächern die grandiose Maximilianstraße säumten. Die Stadt verweist gern auf ihre einstige Weltgeltung, besinnt sich auch ihrer berühmten Söhne, sofern dies ihrem Ansehen dient. Und der Belebung urbaner Sitten und Gebräuche. Jene folgt freilich in der Oberstadt dem allerorten ehernen Gesetz der Abfolge von Imbissen, Cafés und Kettenläden.

In der Unterstadt, zwischen den hübsch herausgeputzten Häuschen an winzigen baumbestandenen Plätzen und dem sanft plätschernden Kanal, ist der Augsburger Kunstverein im Haus von Hans Holbein d. Ä. (sein Sohn, der spätere Hofmaler Heinrichs VIII., wurde hier geboren) inhaltlich ein Kontrapunkt. Er versucht, sich gegen die allgegenwärtige Kompatibilität von Bequemlichkeit und geräuschlosem Mittelmaß zu stemmen. Derzeit mit Arbeiten des vor 34 Jahren in Augsburg geborenen Philipp Fürhofer. Das ist ungewöhnlich, weil hier in der Regel auswärtige Künstler vorgestellt werden – und ihre mal interessanten, mal überraschenden, mal unerschrockenen Positionen; wohl um nicht in den Geruch eines Heimatvereins zu geraten.

Für seine Präsentation hat der seit seinem Akademiestudium in Berlin lebende Fürhofer eine Rauminstallation geschaffen, die den modernen Glasanbau des Hauses, eine Art Gartensaal, in ein Kabinett der theatralisch inszenierten Täuschung verwandelt. Vor den hohen Glasfenstern stehen monumentale Acrylkästen, bemalt und befüllt mit Leuchtröhren, Glühbirnen, Kabelgewirr. Breite, an den tiefseeblauen Wänden angebrachte Spiegelfolien reflektieren und facettieren den Raum, verzerren und filtern. Getaktet aufleuchtendes Kunstlicht und das sich in den Saal ergießende Tageslicht verbinden Struktur mit Zufall.

Der Betrachter ist unverzichtbarer, möglicherweise auch irritierter Teil dieser vielschichtigen „Reflexzone“ (so der mehrdeutige Titel der Ausstellung). Der hier vorgetragene souverän-virtuose Umgang mit szenischer Raumwirkung und Lichtregie verweist auf Fürhofers Tätigkeit als Bühnen- und Kostümbildner für große internationale Opernproduktionen.

Tristan und die Tropfenbahnen

In jüngerer Zeit interessiert ihn im Rahmen seiner bildnerischen Arbeiten die, wie er sagt, „Pathetisierung von Körperlichkeit“. Die erreicht er beispielsweise, indem er hinter die Kante einer gewölbten Acrylglasscheibe Wäschefetzen verknäult, deren Textur sich fast übergangslos mit der groß und hyperrealistisch auf das Glas gemalten Männerhand verbindet; ein Gegengewicht bildet der wiederum hinter das Glas montierte Ausriss eines gedruckten Bühnenbilds zum „Tristan“; Tropfenbahnen der dünnflüssig aufgetragenen Farbe bahnen sich auf der gekrümmten Scheibe ihren Weg und belegen den gewollten Kontrollverlust („Self Status“).

Auf der Wandarbeit daneben zerstört ein Kabelgestrüpp, das hinter dem in Grisaille-Manier gemalten Rücken-Schulter-Detail eines Männerakts hervorquillt, das kontemplative Idyll. Fürhofer greift so Gesten der Romantik auf und huldigt (in Kombination mit einer Vielzahl von Querverweisen zu Wagner, zur mythenbewehrten Oper überhaupt, zur Scheinarchitektur des Barock) vor allem dem Fragment.

Philipp Fürhofer spielt mit präzisem Einsatz die Karte der Illusion

Im Obergeschoss dann, in abgedunkelten (für diese Arbeiten viel zu niedrigen) Räumen, die Leuchtkästen: Im Licht-an-Licht-aus-Modus wird der Betrachter von der malerischen Oberfläche (Licht aus) in eine dreidimensionale, bisweilen mystisch anmutende Szenerie (Licht an) mit trivialem Gerät wie Styropor, Plastiktüten, Elektroschrott und Billigkrempel katapultiert. Das gemalte figurative Motiv verblasst, sobald das Innere des Objektkastens erstrahlt und Rätsel aufgibt. Die Schaltung ist kurz getaktet, das Hin und Her reizt und schärft die Wahrnehmung.

Das Innenleben der Erzählkapseln

Ein als Welle stilisierter großer Objektkasten ­(auf den beiden blau und grün schimmernden Oberflächen Porträts, Architekturdetails, ein Wasserfall und ein Regenbogen) beinhaltet neben den LED-Röhren ein hermetisches System von Kabeln, gleichgeschaltet und unentrinnbar verbunden.

Jenseits des Titels „Gold im Fluss“, der auf Richard Wagners „Rheingold“ verweist und damit auf den stets desaströsen Kampf um Macht und Liebe, könnte das komplexe Konstrukt eine Metapher zur Quintessenz der menschlichen Existenz sein. Die Illustration einer funktional verketteten, physischen Abhängigkeit, verquickt mit einem idyllisch banalen Gewirr von Bildern (und Informationen) als Ersatz für die Wahrnehmung der eigenen Körperlichkeit?

Philipp Fürhofer spielt mit präzisem Einsatz die Karte der Illusion und übernimmt dabei die Rolle des präpotenten, gar zynischen Verführers. Doch mit der Offenlegung seiner Strategie besänftigt er den Betrachter. Er gewährt (seitlichen) Einblick in das schroff zusammengewürfelte Innenleben seiner Erzählkapseln. Aus der perfekten Illusion wird ein irritierendes – schon auch ironisches – Bekenntnis zur Wahrhaftigkeit.

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