Pflegenotstand: „Ich allein schaffe das nicht mehr“
Es wird schwieriger für Pflegebedürftige, einen Heimplatz zu ergattern. Krankenhäuser und Angehörige stellt das vor Probleme. So wie Marianne Salger.
Salger blieb vier Monate in der Klinik, obwohl er gar keinen Krankenhausaufenthalt mehr brauchte. Seine Frau telefonierte mehr als ein Dutzend Heime ab und bat um Aufnahme. „Ich konnte ihn doch nicht mehr zurücknehmen“, sagt Salger. „Man konnte ihn nicht mehr fünf Minuten allein lassen, ich wäre mit ihm zu Hause gefangen gewesen.“ Ihre Teilzeitstelle in einem Personalbüro aufzugeben wegen der Pflege, „das ist ein Horrorgedanke für mich“, sagt Salger, die mit ihrem Mann, einem ehemaligen Beamten, seit 30 Jahren zusammen gewesen war. Kinder haben sie keine. Das Ehepaar heißt eigentlich anders, aber aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes will Marianne Salger nicht mit ihrem richtigen Namen in der Zeitung stehen.
Die Salgers stehen für ein Problem, das immer drängender wird: Was tun mit hochgradig Pflegebedürftigen, wenn die Angehörigen mit der Versorgung überfordert sind, sich aber auch kein Heimplatz oder Pflegedienst auftun lässt? Einen Rechtsanspruch auf einen Pflegeplatz gibt es nicht.
Im Sondierungspapier zu den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD steht zum Thema Pflege lediglich der eine vage Satz, man wolle „eine große Pflegereform auf den Weg bringen“. Von bedarfsgerechter Versorgung ist nicht die Rede. Der Pflegeversicherung droht auch in diesem Jahr wieder ein Defizit, das auch die neue Regierung beschäftigen wird.
Das Problem der fehlenden Plätze merken die Krankenhäuser, wenn sie für gebrechliche Hochaltrige einen Pflegeplatz suchen, weil Angehörige sie nicht zu Hause versorgen können. „Es wird immer schwieriger, im Anschluss an einen Krankenhausaufenthalt einen Pflegeplatz zu finden“, sagt Antje Liesener, Referentin bei der Deutschen Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen (DVSG).
Liesener ist zuständig für die Sozialdienste in Krankenhäusern, die sich um die weitere Versorgung der Patient:innen kümmern. Heime und auch die ambulanten Pflegedienste können sich inzwischen aber ihre Bewohner:innen und Klient:innen aussuchen.
Aggressive, schwergewichtige oder ärmere Pflegebedürftige haben schlechte Karten
„Schwierig wird es, wenn mehrere Bedarfslagen der Pflegebedürftigen zusammenkommen“, sagt Liesener. Wer zum Beispiel wie Ludger Salger eine Demenzerkrankung hat mit aggressiven Ausbrüchen, mit dem Drang, wegzulaufen, der hat schlechte Karten. „Da sagte eine Einrichtung, einen solchen Fall können wir nicht betreuen“, erzählt Marianne Salger. Auch wer sehr schwergewichtig ist, wird von den ambulanten Diensten oder Heimen nicht so gerne genommen, weil man dann immer zwei Arbeitskräfte braucht für die Pflege. Ärmere Klient:innen sind ebenfalls weniger beliebt. Pflegeheime, die sich vom Sozialamt das Geld für den Eigenanteil einer Patientin holen müssen, haben viel Bürokratie zu bewältigen und warten zum Teil drei bis neun Monate auf ihr Geld, erzählt Liesener.
Die DVSG hat kürzlich eine Umfrage veröffentlicht über Versorgungslücken, die die Mitarbeiter:innen der Sozialdienste beobachten. Ganz oben auf der Liste standen fehlende Plätze für die stationäre Dauerpflege und die Kurzzeit- und Verhinderungspflege, getoppt nur noch durch die Versorgungslücken in der psychotherapeutischen Versorgung.
Die Lösung für die Angehörigen und Sozialdienste besteht dann oftmals darin, „den Radius der Suche nach einem Pflegeplatz immer weiter auszuweiten“, erzählt Liesener. Doch findet sich dann ein abgelegenes Heim irgendwo in einer anderen Region, können die Angehörigen nicht mehr so oft zu Besuch kommen.
Salger hat nach Monaten dann doch einen Pflegeplatz gefunden, in einer geschlossenen Einrichtung, 30 Autominuten von Düsseldorf entfernt. Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln dauert die Fahrt zweieinhalb Stunden. Mit dem Heim ist sie zufrieden, aber die Sorge um ihren Mann bleibt. Er attackierte das Pflegepersonal und musste jetzt mit Medikamenten ruhiggestellt werden, deren Verabreichung Marianne Salger zustimmte.
„Jede Entscheidung ist von schlechtem Gewissen begleitet“, sagt sie. „Mein Herz sagt: ich hole ihn wieder nach Hause. Doch der Verstand weiß: Ich allein schaffe das nicht mehr.“ Über diese inneren Konflikte pflegender Angehöriger werde „so gut wie nie gesprochen“, bedauert die Düsseldorferin.
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