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Pflegeheime in der zweiten Corona-WelleBloß keine Besuchsverbote mehr

Pflegeheime bereiten sich mit Schnelltests und Infrarotthermometern auf steigende Infektionszahlen vor. Doch wer darf überhaupt rein?

Bewohner*innen von Pflegeheimen sind oft besonders anfällig für das Coronavirus Foto: Tom Weller/dpa

Berlin taz | Dass die Pflegekräfte im Heim Masken tragen, daran haben sich die BewohnerInnen gewöhnt, auch die Demenzkranken. „Das ist Alltag geworden“, berichtet Kristina Baumstark, Hausdirektorin des Seniorenzentrums „Haus im Schelmenholz“ in Winnenden.

Zum Alltag gehört inzwischen auch, dass MitarbeiterInnen am Empfang die Körpertemperatur der BesucherInnen messen, kontaktlos, mit einem Infrarotthermometer vor der Stirn. Und bald kommen die neuen Tests. „Ich hoffe, dass wir in den nächsten Wochen die Beschaffung der Schnelltests organisieren können“, sagt Baumstark.

Das Seniorenzentrum ist eins von tausenden Pflegeheimen in Deutschland, in denen ein Kompromiss gefunden werden muss – zwischen den Bedürfnissen der BewohnerInnen und den Erfordernissen des Infektionsschutzes in der zweiten Welle der Coronapandemie. Steigende Infektionszahlen im Land führten aktuell wieder zu „teils unverhältnismäßigen Besuchseinschränkungen in Pflegeheimen“, sagt David Kröll, Sprecher des Biva-Pflegeschutzbundes in Bonn.

Der Schutzbund berät Angehörige und Pflegebedürftige und befürchtet eine Wiederholung der folgenschweren Isolierung von HeimbewohnerInnen wie im Frühjahr. Heime hatten generelle Besuchs- und Ausgangsverbote verhängt, eine Vorsichtsmaßnahme, da es in einigen Pflegeheimen zu Massenausbrüchen von Covid-19 gekommen war, bei denen Dutzende von BewohnerInnen starben. Durch die generellen Besuchsverbote vereinsamten die gebrechlichen SeniorInnen. „Angehörige übernehmen bei ihren Besuchen ja auch viel, helfen etwa beim Essen und Trinken, das fiel dann weg“, schildert Kröll.

20 Schnelltests pro Bewohnerin

Der Biva-Pflegeschutzbund empfiehlt den Klageweg, falls man einen Konflikt um ein Besuchsverbot mit der Heimleitung oder Heimaufsichtsbehörde und in Kontakt mit dem Gesundheitsamt nicht lösen könne. Er verweist auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Minden, in dem die Richter die Isolierung einer Pflegeheimbewohnerin mangels Ermächtigungsgrundlage aufhoben und den Inhalt einer Coronaschutzverordnung infrage stellten.

„Wir möchten auf keinen Fall wieder generelle Besuchsverbote“, sagt Baumstark. Das Seniorenzentrum ist vorbereitet. „Wir sind jetzt besser gerüstet. Es ist genug Schutzkleidung da, Handschuhe, FFP2-Masken“, so die Hausdirektorin. Würde eine Bewohnerin in dem 135-Betten-Haus positiv getestet, könnte sie von den anderen isoliert und durch Pflegekräfte in Schutzkleidung versorgt werden. Der Landkreis des Heims verzeichnet mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 EinwohnerInnen, daher misst man im Heim jetzt schon am Eingang vorsorglich die Körpertemperatur der BesucherInnen.

Pro Bewohnerin und pro Monat habe das Heim 20 der neuen Antigenschnelltests beantragt, sagt Baumstark. Das Kontingent von 20 Tests muss für eine Bewohnerin, ihre Pflegekräfte und ihre Besucher reichen. PflegerInnen, die speziell geschult sind, werden dann am Empfang den Abstrich im Rachenraum der Besucher vornehmen. Das Ergebnis des Antigenschnelltests ist nach 20 Minuten ablesbar.

Getestet werden soll etwa bei unklarer Symptomatik oder wenn ein Besucher oder eine Besucherin Kontakt mit positiv Getesteten hatte oder wenn Pflegekräfte jemanden versorgen, der positiv ist, erklärt Baumstark. Wer häufig zu Besuch kommt, bei der oder dem ist ein wöchentlicher Abstrich vorgesehen.

Die Angehörigen treffen die BewohnerInnen nur noch im Zimmer oder draußen, nicht aber im Aufenthaltsraum. Im Seniorenzentrum gibt es seit Corona keine wohnbereichsübergreifenden Veranstaltungen mehr. „Man trägt eine enorme Verantwortung“, sagt Baumstark. Sie ist froh, dass sie mit der evangelischen Heimstiftung einen Träger im Rücken hat, der mehrere Einrichtungen betreibt und bei den Entscheidungen zum Infektionsschutz hilft.

„Einschränkungen erzeug immer Leid“

Die Einschränkung von Besuchen oder gar Ausgangsverbote sind rechtlich immer heikel. „Mit den Besuchs- und Ausgangsverboten im Frühjahr und Sommer bewegte man sich im juristischen Neuland. Wir sind in eine Situation katapultiert worden, wo es keine Ermächtigung gab und keine Qualifikation“, sagt Ulrike Kempchen, Juristin beim Biva. „Wir würden uns bundeseinheitliche Mindeststandards für die Besuchsregelungen in den Einrichtungen wünschen.“

Die Besuchsregelungen unterscheiden sich bisher regional, stellt der Schutzbund fest. In Berlin dürfen BewohnerInnen täglich bis zu drei BesucherInnen empfangen, Masken müssen in geschlossenen Räumen getragen werden. In Baden-Württemberg gelten Maskenpflicht und Mindestabstand von 1,50 Metern für nahe Angehörige nicht. In Hamburg sind in den Innenräumen der Pflegeeinrichtungen pro Woche und Bewohner maximal drei Stunden Besuch für maximal zwei Personen gestattet, Körperkontakt von maximal 15 Minuten je Besuch ist erlaubt. Darüber hinaus pflegen die Heime noch spezielle Sonderregeln.

Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, hat jetzt eine bundesweit übergreifende „Handreichung“ für Besuchskonzepte in Pflegeheimen angekündigt, in Zusammenarbeit mit dem Bundesgesundheitsministerium und dem Robert-Koch-Institut. Jede Einschränkung erzeugt immer auch Leid. Kempchen sagt: „Ich sehe Umfragen, wo Bewohnerinnen zitiert sind, die sagen, ich möchte selbst entscheiden, woran ich sterbe, und ich möchte nicht in Isolation leben.“

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1 Kommentar

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  • Das schlimmste, was man den Heimbewohnern antun kann, ist die Isolation. Ich zitiere einen solchen: "Lieber tot als einsam, sterben muss ich sowieso."