Pfefferspray gegen Studenten in Hamburg: Polizei räumt Studentencamp
15.000 Hochschulangehörige protestieren gegen die Sparpläne der SPD. Aber bei der Anhörung ist nur Platz für 350. Die Polizei setzt Pfefferspray ein.
HAMBURG taz | Hamburg hat am Dienstag die größte Hochschuldemonstration seit Jahren erlebt. Unter dem Motto "Mehr Wissen schafft mehr" protestierten über 15.000 Studierende und Lehrende gegen die Kürzungen von bis zu 32 Millionen Euro im Wissenschaftsetat.
Zu dem Sternmarsch hatten alle sechs Hochschulen aufgerufen. Im Anschluss kam es auf dem Rathausmarkt zu einem Polizeieinsatz gegen rund 1.000 Studierende, die ein Protest-Camp aufgebaut hatten.
"Es ist gut, dass du da bist", wird Uni-Präsident Dieter Lenzen vom Lautsprecherwagen im Uni-Demozug begrüßt, der mit 10.000 Menschen von der Moorweide zur Mönckebergstraße zieht. Dort trifft der Zug auf rund 5.000 Protestierende, die am Berliner Tor gestartet waren.
Die sechs Präsidenten der Hamburger Hochschulen fordern, der Senat müsse alle Sparbeschlüsse seit 2010 zurücknehmen, die wegfallenden Studiengebühren ersetzen und jährlich drei Prozent mehr Geld bewilligen.
Für den Rest des Zuges stellen sich die sechs Hochschulleiter gemeinsam hinter ein Transparent, um ein "Zeichen" zu setzen. Überall sichtbar ist ein großes rotes Ausrufezeichen mit dem Demo-Slogan zu sehen - auch auf dem Sakko von Dieter Lenzen.
Die Studierenden, die an diesem "Dies Academicus" keine Vorlesungen besuchen, haben sich auf ihre Weise kreativ vorbereitet. Einige tragen T-Shirts mit dem aufgesprühten Konterfei von Olaf Scholz und den Worten "Wanted Bildungsmörder".
Für Bio-Student Michel Meier ist es die erste Demonstration. Er fürchtet, dass ein ganzer Fachbereich schließen muss. "Unsere Professoren sind schon in Rente und wir kriegen keinen Ersatz", sagt er. Die Präparate in der Botanik seien so alt, dass man unterm Mikroskop nichts erkenne.
Auch viele Uni-Mitarbeiter laufen mit. Leopoldo Ramieres verteilt Zettel gegen die drohende Schließung der Uni-Druckerei. "Wer hat uns verraten, Sozialdemokraten", ist an diesem Tag eine der Lieblingsparolen.
Mit Spannung erwartet wird das Demo-Ende am Jungfernstieg: Um 17 Uhr soll im Festsaal des Rathauses eine öffentliche Sitzung des Wissenschaftsausschusses stattfinden, bei der die sechs Präsidenten zu der Sparpolitik angehört werden.
Schon im Vorwege hatte es Ärger gegeben, weil die Sitzung auf Druck der Innenbehörde vom Audimax dorthin verlegt wurde. Dort hätte es allein über 1.600 Sitzplätze gegeben - im Gegensatz zu den 350 Plätzen im Festsaal.
Der Rathausmarkt wird deshalb zur Bannmeile erklärt: Die Polizei hat ihn mit Gittern abgesperrt, die Demonstrierenden können also nicht passieren, um an der Anhörung teilzunehmen. "Es geht nicht, dass in eine öffentliche Sitzung nicht alle reinkommen", sagt Alice Diesing. Die Psychologie-Studentin ist wütend.
Dass die Anhörung nicht wie geplant auf dem Campus stattfinde, sei "auch schon ein Statement". Kurz vor 17 Uhr öffnen die Polizisten doch eine Schleuse, durch die sie die Protestierenden einzeln ins Rathaus lassen. Doch zu Beginn der Anhörung stehen rund 2.000 Studierende vor der Tür.
Im Festsaal selbst beginnt die Sitzung laut: "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut!", skandieren die Studierenden, die es ins Rathaus geschafft haben. Der Hall verstärkt ihren Applaus. Trotz der Kritik an der Verlegung des Ortes durch die Linke und die GAL verläuft die Sitzung ohne Zwischenfälle.
Ganz anders auf dem Rathausmarkt: Ein studentisches "Aktionsplenum" hat ein Camp mit einem Dutzend Zelten aufgebaut. Die Polizei fordert die Studierenden wiederholt auf, den Platz zu räumen. Schließlich drängen behelmte Polizisten durch die Menge und reißen die Zelte ein.
"Wir sind friedlich, was seid ihr", skandieren die jungen Leute. "Keine guten Bilder", kommentiert ein Radio-Reporter. Die Polizei setzt Pfefferspray ein. Bis Redaktionsschluss bleiben die jungen Leute auf dem Platz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren