Pfarrerin über Evangelikale: "Evangelikale schüchtern massiv ein"
Finanzstark, einflussreich und intransparent - der schleichende Machtanspruch der Evangelikalen hat ein unerträgliches Ausmaß angenommen, sagt Pfarrerin Kathinka Kaden.
taz: Frau Kaden, die Offene Kirche hat einen Brandbrief verfasst, in dem Sie vor dem steigenden Einfluss der Evangelikalen in Ihrer Landeskirche warnen. Woran machen Sie den fest?
Kathinka Kaden: Wir hatten in der Württembergischen Landeskirche ja schon immer einen stark konservativ geprägten Protestantismus. Aber inzwischen hat der schleichende Machtanspruch der Evangelikalen ein unerträgliches Ausmaß angenommen. Wir haben inzwischen fast schon eine zweite evangelische Kirche in Deutschland, die sehr finanzstark, einflussreich und intransparent ist und sich eigene Parallelstrukturen geschaffen hat.
Wen meinen Sie?
Die Deutsche Evangelische Allianz, den Dachverband der Evangelikalen. Deren Überzeugungen sind bei uns in der württembergischen Synode inzwischen Mehrheitsmeinung geworden.
Was stört Sie an den Evangelikalen?
Das wortwörtliche Bibelverständnis, die theologische Enge, das Ausschalten der kritischen Vernunft, dass sie für den historischen Kontext der Heiligen Schrift nicht offen sind - das ist für mich fundamentalistisch.
Ihre Offene Kirche steht für ein liberales Christentum, das sich für Basisdemokratie engagiert und für die Rechte von Frauen und Homosexuellen eintritt. Sehen Sie Ihre Arbeit durch den Aufschwung der evangelikalen Kräfte gefährdet?
Natürlich. Für die Evangelikalen ist Feminismus fast schon ein Schimpfwort, genauso wie homosexuell, auch wenn das nicht alle immer offen sagen. Man wird heute schon in Briefen beschimpft, wenn man nur Eva Herman kritisiert.
Eva Herman? Die Ex-"Tagesschau"-Sprecherin mit den kruden Mutterthesen?
Ja, genau die. Eva Herman ist für viele Evangelikale zur unantastbaren Heldin geworden. Da kann es doch kein Zufall sein, dass nun in unserer Landeskirche genau bei den liberalen Einrichtungen wie der Evangelischen Akademie Bad Boll oder den Evangelischen Frauen die Zuwendungen gekürzt werden sollen.
Das klingt schon sehr arg nach Verschwörungstheorie.
Ist es aber nicht. Oder wie erklären Sie sich, dass ein evangelikales Projekt namens "Wachsende Kirche" trotz Finanzknappheit unbedingt in der Kirche durchgesetzt werden soll? Oder dass manche Kirchengemeinden ihr Opfer an Weihnachten nicht mehr an Brot für die Welt weiterleiten, sondern an evangelikale Missionswerke? Nein, die Evangelikalisierung ist sehr, sehr real.
Was erhoffen Sie sich?
Ich hoffe, dass sich die Kirchenleitung nicht beeindrucken lässt von den Evangelikalen. Dass die evangelikalen Brüder und Schwestern anfangen, zu reflektieren, und zur Vernunft kommen. Und vor allem, dass der Umgang miteinander wieder menschlich wird. Die Evangelikalen betreiben eine massive Einschüchterung Andersdenkender.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen