Petra Pau über den neuen NSU-Ausschuss: „Sie halten uns für schädlich“
Der Verfassungsschutz bremst den NSU-Ausschuss aus, klagt Linken-Obfrau Petra Pau. Er finde das neue Gremium überflüssig.
taz: Frau Pau, im November hat sich im Bundestag ein neuer NSU-Untersuchungsausschuss konstituiert. Richtig angelaufen ist er bis heute nicht. Woran hapert es?
Petra Pau: Derzeit warten wir immer noch auf Aktenzulieferungen aus den unterschiedlichsten Behörden, allen voran dem Verfassungsschutz. Da wären etwa die Akten von sieben Thüringer V-Männern des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die kurz nach Bekanntwerden des NSU im November 2011 geschreddert wurden, aber längst rekonstruiert sein sollen. Nur dem Ausschuss liegen sie bislang nicht vor.
Können Sie die Aufklärungsarbeit nicht dennoch beginnen?
Das tun wir. Und es gab ja auch schon eine erste Expertenanhörung im Dezember. Daraus haben sich für uns weitere Untersuchungsansätze ergeben, die wir gerade vorbereiten. Leider warten wir aber auch noch auf Akten zu einem weiteren V-Mann, der sehr nah am NSU-Kerntrio dran war: Marcel D. alias „Hagel“. Mehr als 70 Hinweismeldungen dieses Spitzels hatte das Bundesamt dem ersten NSU-Ausschuss vorenthalten. Auch diese haben wir bis heute nicht erhalten, obwohl wir sie im November angefordert haben.
Warum, glauben Sie, lässt sich der Verfassungsschutz so viel Zeit?
Wir wissen, dass Vertreter des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Hintergrundgesprächen erzählen, dass sie den NSU-Untersuchungsausschuss für überflüssig bis schädlich halten. Und sein Präsident behauptet ja munter, dass das Bundesamt überhaupt keine Verantwortung im NSU-Komplex habe. Das sehe nicht nur ich anders. Allerdings ist das Bundesamt aus dem NSU-Desaster sogar noch gestärkt hervorgegangen.
Sie meinen die Reform aus dem vergangenen Sommer.
Richtig. Die Verfassungsschutzbehörde in Köln verfügt heute über mehr Kompetenzen, mehr Stellen und mehr Geld als vor der Selbstenttarnung des NSU im November 2011. Das widerspricht allem, was man aus dem Debakel hätte lernen müssen.
52, Vizepräsidentin des Bundestags und Linken-Obfrau im zweiten NSU-Untersuchungsausschuss des Parlaments.
Das Gremium traf sich Donnerstag zu seiner fünften Sitzung; diesmal nichtöffentlich, um die weitere Planung zu besprechen.
Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen und Bundesinnenminister Thomas de Maizière argumentieren: Nur so ließen sich terroristische Gefahren wie der NSU bekämpfen.
Das ist absurd. Das Amt und dessen Thüringer Kollegen hatten ja Informationen von einer Vielzahl an V-Leuten und Informanten über den NSU. Etwa, dass sich Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe ab Januar 1998 in Chemnitz aufhielten oder Waffen beschaffen und Überfälle begehen wollten. Das Problem aber war doch, dass der Verfassungsschutz diese Hinweise nicht weitergegeben hat, weil ihm der Schutz seiner Quellen über alles ging. Genau hier wollen wir mit dem neuen Ausschuss nachhaken. Was genau wusste der Verfassungsschutz über die rechtsterroristischen Aktivitäten des NSU-Kerntrios und weiterer Neonazi-Zellen? Und wie ist er mit diesem Wissen umgegangen? Wurden Strafverfolgungsbehörden informiert?
Hat das nicht der erste Untersuchungsausschuss geklärt?
Nein, das Ausmaß der Verantwortung der Verfassungsschutzbehörden dafür, dass die Mord- und Anschlagserie des NSU nicht gestoppt wurde, ist immer noch nicht umfassend geklärt.
Hat der Ausschuss eine Handhabe, falls sich das Amt länger sperrt?
Wir werden weiter mit aller Vehemenz auf Aufklärung drängen. Und das Thema ist ja wieder sehr aktuell, wenn Sie nach Leipzig schauen. Da wird ein ganzer Stadtteil schutzlos dem Straßenterror von neonazistischen Hooligans und Freien Nationalisten ausgeliefert, obwohl es seit Wochen Ankündigungen für eine derartige Aktion in der Szene gab. Da frage ich mich schon: Haben Verfassungsschutzämter oder andere Behörden hier Informationen zurückgehalten?
Wird die Leipziger Randale Thema im Untersuchungsausschuss?
Wir haben von Anfang an gesagt: Wo immer heute neuer Rechtsterrorismus droht beziehungsweise entsprechende Strukturen erkennbar werden, werden wir genau hinschauen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku