Petition gegen Kreißsaal-Schließung: Kein Platz für Geburten
Im bayerischen Bad Tölz soll Mitte 2017 die einzige Entbindungsstation geschlossen werden. Dagegen regt sich Widerstand in einer Online-Petition.
Werdende Mütter haben Qual und Wahl: Gebären mit PDA oder ohne, unter Wasser oder in Trance – wie Herzogin Kate. Auch im Angebot ist „mütterlich assistierter Kaiserschnitt“, bei dem die Gebärende ihr Baby aus dem Bauch zieht. Gynäkologen indes monieren, Geburten verkämen zu Events.
Im bayerischen Bad Tölz allerdings geht es nicht mehr um das Wie, sondern das Wo des Gebärens: Denn Ende November gab die Leitung der Asklepios Stadtklinik die voraussichtliche Schließung der Geburtsstation für Mitte 2017 bekannt. Manche Gebärende braucht dann bis zu 50 Minuten zum nächsten Kreißsaal. Zu lang, befinden ÄrztInnen und PolitikerInnen: 20 Minuten seien maximal medizinisch vertretbar.
Hebammen schlagen Alarm – weil sie durch zunehmende Autogeburten Komplikationen fürchten. Die Hebamme Hannelore Kasperbauer sagte im Bayerischen Rundfunk: „Das ist eine akute lebensbedrohliche Situation unter Umständen. Ein Rückschritt ins Mittelalter. Wer trägt Verantwortung, wenn einer stirbt?“
Dieses Risiko wollen die Bad TölzerInnen nicht eingehen. Eltern, werdende Eltern und Klinikangestellte erstellten vor gut einem Monat eine Online-Petition. Fast 4.000 Unterschriften haben sie schon gesammelt. 1.400 hätten gereicht, um eine Stellungnahme bei den zuständigen PolitikerInnen einzuholen.
40 Prozent der Kreißsäle geschlossen
Bad Tölz ist kein Einzelfall. Seit 1991 sind laut dem Deutschen Hebammenverband 40 Prozent aller Kreißsäle geschlossen worden – obwohl die Geburtenrate nur um zwölf Prozent gesunken sei.
Von Schließungen der Geburtsstationen sind bisher vor allem ländliche Regionen betroffen – aus „mangelnder Rentabilität“. Die niedrige Geburtenrate in Deutschland und ein zunehmender Wegzug vom Land haben die Situation verschärft. Anders im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen: Seit 2011 sind stetig mehr Kinder geboren worden. Die Süddeutsche Zeitung spricht von einem „Babyboom“.
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Wirtschaftliche Gründe seien nicht ausschlaggebend für das Aus der Geburtenstation, teilt der Pressesprecher der Bad Tölzer Klinik mit. Warum dann, will er nicht genau sagen – wie keiner der Beteiligten: zu komplex die Gemengelage, zu klein der Ort, zu groß die Befindlichkeiten.
Fakt ist, dass hinter der geplanten Schließung der Facharztmangel steckt: Aktuell stemmen in Bad Tölz ein Belegarzt und eine Belegärztin etwa 550 Geburten pro Jahr. Unterstützt werden sie noch von einem Oberarzt und einem Vertretungsarzt. Beide Belegärzte haben zudem eigene Praxen. Stephan Krone, einer der beiden, sagt: „Auf Dauer ist eine solche Situation nur schwer tragbar.“
Teure Haftpflichtversicherung
Er meint damit nicht nur das Arbeitspensum, sondern auch die finanzielle Belastung: Wobei Krone Glück hat mit seinem alten Vertrag. Er zahlt vergleichsweise wenig für seine Haftpflichtversicherung. Die 2015 eingestellte Belegärztin muss etwa das Fünffache hinlegen: jährlich über 50.000 Euro. Einen Großteil davon hat bislang die Asklepios-Klinik übernommen. Doch durch das neue Antikorruptionsgesetz könnte eine solche Unterstützung „als Korruption gewertet und als Straftat geahndet werden“, so der Sprecher der Klinik.
Kein Wunder, dass sich auf mehrere Stellenausschreibungen fast niemand gemeldet hat. „Wir hätten den Kassensitz auf dem Silbertablett serviert“, sagte Klinikgeschäftsführer Joachim Ramming gegenüber der SZ.
Der für Bad Tölz zuständige Landtagsabgeordnete Florian Streibl (Freie Wähler) hat Angst, dass ländliche Regionen zunehmend unattraktiv werden, wenn immer mehr Kreißsäle schließen. Er fordert den Bund auf, Krankenhäuser mit kleineren Geburtshilfeabteilungen finanziell zu unterstützen. Sein Dringlichkeitsantrag hat im Landtag allerdings keine Mehrheit gefunden.
Die Bürgerinitiative war erfolgreicher. Der Initiator der Petition, Alexander Hofmann, ein Mitarbeiter der Bad Tölzer Klinik, hat sich inzwischen aber zurückgezogen. Warum, bleibt unklar.
Noch tagt ein Runder Tisch aus PolitikerInnen, Klinikpersonal und Betroffenen über die Zukunft der Geburtsstation. Allzu großer Hoffnung ist derzeit jedoch niemand.
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