Persiflage mit Wladimir Kaminer: Deutsche und Heimat
Wo ist zu Hause? Wladimir Kaminer befragt Österreicher, Schweizer und Deutsche nach ihren Heimatgefühlen – mit erfrischender Respektlosigkeit.
„Ich hatte damals keine große Lust, in die Provinz zu fahren.“ Das hatte Schriftsteller Wladimir Kaminer, bekannt vor allem durch sein Erzählband „Russendisko“, schon 2003 in seinem Vorwort zu „Mein deutsches Dschungelbuch“ geschrieben. Wie groß mag da seine Lust gewesen sein, außer in die deutsche Provinz nun auch noch in die österreichische und in die Schweizer Provinz zu reisen?
Die – und damit gleich zwei von drei 3sat-Ländern – hatten sie vor vier Jahren nämlich ganz vergessen, als 3sat der Deutschen liebsten Russen in die deutschen „Kulturlandschaften“ entsandte, auf dass er nun auch das Fernsehen an seinem Geschäftsmodell teilhaben ließ, das in Buchform schon damals ungemein erfolgreich war. Und das er selbst so auf den Punkt bringt: „Oft ist es der Blick von außen, der uns die Augen öffnet über die liebenswürdigen Seiten unserer Heimat.“
Eigenlob stinkt, aber wenn die Lobhudelei ein gebürtiger Moskauer (und gelernter Berliner) besorgt, der die Sowjetunion (und nicht etwa Russland) seine Heimat nennt, dann ist es ja keins – schon gar nicht, wenn er seine Liebenswürdigkeiten so geschickt kokettierend als charmante Respektlosigkeit verpackt. „Heimat scheint jetzt groß im Trend zu liegen“, hat er jedenfalls festgestellt: „Und daraufhin bekomme ich, als beruflicher Heimatloser, quasi ganz viele Aufträge, unter anderem auch von 3sat, und gehe auf die Suche nach einer Heimat, die nicht meine ist.“
Unterm Dirndl wird gejodelt
„Heimat“ ist also der aktuelle Aufhänger – aber wo Kaminer draufsteht ist Kaminer drin, er bleibt sich treu. Und Kaminer wäre nicht Kaminer, würde er die besten Geschichten nicht selbst erzählen wollen. In seinem ersten Reiseziel Österreich etwa im Gespräch mit dem selbsternannten „Volksrock ’n’ Roller“ Andreas Gabalier: „Diese Trachten übrigens spielen eine ganz besondere Rolle in der Geschichte meiner Heimat. Als wir Perestroika hatten, wollte die Regierung den Menschen etwas Lockeres zeigen: ‚Unterm Dirndl wird gejodelt‘ – das war der erste erotische Film im sowjetischen Fernsehen. Ohne Witz. Und nach diesem Film war die Realität eine andere. Da konnten die Menschen keinen Sozialismus mehr aufbauen.“
„Kaminer Inside: Österreich/Schweiz/Deutschland“, 20.15 Uhr, 3sat
Gelegentlich vermag Kaminer mit seinen Respektlosigkeiten sogar noch an Befindlichkeiten zu rühren – etwa wenn er Österreich partout als „kleines Würstchen“ sehen will. Während Gabalier bereit ist, das so stehen zu lassen, verbittet sich der Kabarettist Gerhard Haderer den Vergleich und besteht auf: „Schnitzel.“
Seine Deutschlandreise beginnt Kaminer ausgerechnet in London, wo eine in ein, nun ja: Dirndl gewandete Rheinländerin den Engländern Sauerkraut serviert. Kaminer wundert sich: „Die Deutschen essen doch so was gar nicht!?“ Die Rheinländerin schaut pikiert, räumt aber ein, in München auch lieber „zum Italiener“ gegangen zu sein.
„Also meine Erfahrung mit Klischees ist: Sie stimmen alle!“, sagt Kaminer. Sie werden natürlich auch gerne bedient. So lernt er in der Schweiz: „Der Schwingsport erlebt in den letzten zehn Jahren einen riesigen Boom.“ Und während das Schwingen einem als merkwürdige Mischung aus Judo und Sackhüpfen erscheinen mag, hat Kaminer wiederum seinen eigenen Blick auf den Schweizer Nationalsport: „Ein bisschen sah das schon aus wie eine Disko um vier Uhr … um halb fünf Uhr früh. Also wo schon keiner mehr so richtig tanzen kann.“
Eine Erkenntnis am Ende
Es hat eben ein jeder seinen eigenen Erfahrungsschatz: „Meiner Meinung nach, wenn man bereits um zwölf vormittags drei Bier gekippt hat, dann gehört jeder in diese Kultur, dann gibt’s überhaupt keine Grenzen mehr.“ Dann wird auch eine Dirndl tragende, jodelnde (gebürtige) Kenianerin ganz als Schweizerin akzeptiert.
Und so steht für Kaminer am Ende seiner Reise folgende, dem Auftrag gebenden Sender gewiss nicht unangenehme Erkenntnis: „Heimat ist ein Gefühl. Eins das Menschen miteinander verbindet.“ Die Klischees sind quasi der Kitt, damit die Verbindung besser hält: „Der Wald ist für die Deutschen das, was für die Schweizer die Berge sind.“
Das hatte Kaminer schon vor vier Jahren aus den „Kulturlandschaften“ mitgenommen. Der Deutschland-Film kann also nirgendwo anders enden als unter Bäumen: „Ob Hermannsschlacht oder Hänsel und Gretel: Hier im Wald findet die unruhige deutsche Seele ihre Heimat.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Pro und Contra Letzte Generation
Ist die Letzte Generation gescheitert?
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht macht BND für Irrtum verantwortlich