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Pergamonaltar aus StyroporEin bisschen Utopie

In einer Berliner Galerie hat die Künstlerin Zuzanna Czebatul Teile des Pergamonaltars nachgebaut und wirft so Fragen über den Status von Museen auf.

Aus Styropor: „Heracles, Zeus, Porphyrion, Alkyoneus, Athena, Ge & Nike“, 2025, von Zuzanna Czebatul Foto: Jens Ziehe, © Courtesy the artist and Dittrich & Schlechtriem, Berlin

Auf dem Weg zu den antiken Stätten im türkischen Bergama werden Souvenirs verkauft, die hauptsächlich ein Motiv zeigen: den Pergamonaltar. Oben angekommen, gibt es allerdings nur mickrige Reste des „antiken Weltwunders“ zu sehen. Mit „dem Charme eines verrottenden Kaugummis“ verglich ein Archäologe in den 1970ern den traurigen Steinhaufen. Und so nennt die Künstlerin Zuzanna Czebatul ihre aktuelle Schau in der Galerie Dittrich & Schlechtriem. Dort zeigt sie eine konzeptionelle Neuinterpretation eines Teils des Pergamonaltars, maßstabsgetreu reproduziert in Styropor. Und zwar in der Stadt, in der sich der Altar nun seit mehr als 150 Jahren befindet, in Berlin.

Dorthin gelangt ist das Bauwerk, wie viele Kulturgüter in deutsche Museen, mehr oder weniger legal. Heute sprechen die einen von Erpressung, die anderen von einer fairen Vertragsabwicklung. Klar ist, dass die Hauptstadt – kurz nach der Gründung des Deutschen Reichs – mehr Marmor vorweisen wollte als London und den Pergamonaltar als Symbol zur nationalen Identitätsbildung in seinen Besitz brachte. In Berlin ist dieser allerdings zur Zeit genauso wenig zu sehen wie in Bergama. Denn das Pergamonmuseum wird saniert. Der Altar mit dem Relieffries ist eingerüstet und verhüllt, mit einem Stoff, der aussieht wie ein großer Brautschleier. Es ist paradox: In Bergama besichtigt man die Abwesenheit des Altars und in Berlin, wo sich der Bau, von dem Teile rekonstruiert sind, nun eigentlich befindet, ist er auch nicht zu sehen. Als hätte jemand die Pausetaste gedrückt.

Der verschleierte Pergamonaltar wartet auf seine ungewisse Zukunft. Warten ist ein Zustand, der sich oft durch eine bewusstere Erfahrung von Zeit auszeichnet. Der Philosoph Henri Bergson bezeichnete diese Form des intensiven Zeiterlebens mit dem Begriff der „Dauer“. Eine Form der subjektiv erlebten Zeit, die im Gegensatz zu unserer klassisch verstandenen Zeit nicht objektiv messbar ist. In diesen Ausnahmezustand greift Czebatul nun ein.

Auf der Schwelle

Ihr in Teilen reproduzierter Pergamonaltar zeigt einen Schwellenzustand zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, in dem sich viele Kulturgüter in Museen, darunter zahlreiche koloniale Raubgüter, befinden. Werden die Museen nicht gerade saniert, lagern viele Werke in Depots, sind oft noch nicht mal inventarisiert. Dadurch sind sie kategorisch unsichtbar, obwohl sie trotzdem zur nationalen Identitätsbildung beitragen: sowohl auf der Seite der ehemaligen Kolonien, die Restitution fordern, als auch hierzulande, wo man manchmal zu Unrecht erbeutete Kulturgüter eher widerwillig zurückgibt.

Auch wenn sie ausgestellt werden, befinden sich diese Objekte nicht selbst in einer Art Wartezustand – vielleicht auf Restitution? Wir genießen als Be­trach­te­r*in­nen ihren Anblick, geschichtsvergessen – solange es geht? Oder haben wir Bauchschmerzen angesichts ihrer Präsentation? Das Original in Berlin soll frühestens 2027 wiederzusehen sein. Sollten wir Zeit und Milliardenkosten nicht besser in ein Neudenken von Museen stecken, anstatt damit Machtsymbole zu konservieren?

Die Ausstellung

Zuzanna Czebatul: „All the Charm of a Rotting Gum“. Galerie Dittrich & Schlechtriem Berlin, bis 21. Juni

Czebatuls Styroporkopie des hellenistischen Monumentalwerks legt die Frage nahe, ob es nicht eher an der Zeit ist, die Abschaffung des Museums zu fordern. Nicht ein Ende des Museums, sondern eine Neudefinition der Institutionen mit ihren historisch belasteten Sammlungen, basierend auf Gerechtigkeit und der Sorge um Kulturgüter, statt der Sorge um nationale Identität. In Zeiten von wachsendem Faschismus und staatlicher Abschottung hält Czebatuls Altar mit ein bisschen Utopie dagegen.

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