Passionsspiele: Nun wird doch nachts gekreuzigt
Entscheidung im einzigartigen Streit von Oberammergau: Die Passionsspiele werden in den Abend verlegt, so wie es Regisseur Stückl will.
MÜNCHEN taz Der Streit hat ihn einige Nerven gekostet, umso erlöster war Theaterregisseur Christian Stückl nach dem Bürgerentscheid. "Ich muss und ich darf weitermachen", sagte der 45-Jährige. "Ich bin total froh."
64 Prozent der Oberammergauer haben sich am Sonntag dafür ausgesprochen, dass Stückl die Passionsspiele 2010 in die Abendstunden verlegen darf. Anstatt wie bisher um 17.30 Uhr endet das acht Stunden lange Laientheaterstück über das Leiden Jesu Christi nun erst um 22.30 Uhr. Regisseur Stückl, der auch Intendant am Münchner Volkstheater ist, hatte seinen Rücktritt angekündigt, sollten die Bürger gegen seine Pläne stimmen. Jetzt bekommt er seine Kreuzigung bei Nacht. Eine Revolution für die traditionsreichen Passionsspiele, die seit 1634 von wenigen Ausnahmen abgesehen alle zehn Jahre aufgeführt werden. Für die über 100 Aufführungen zwischen Mai und Oktober 2010 werden mehr als 500.000 Zuschauer erwartet.
Damit endet ein einzigartiger Streit um das sogenannte Nachtspiel, der das 5.000-Einwohner-Dorf in den vergangenen Monaten gespalten hatte. Zwar hatte der Gemeinderat bereits vor einem Jahr Stückls Pläne abgenickt, doch eine Bürgerinitiative sammelte mehr als 600 Unterschriften gegen eine Verlegung in die Abendstunden und erzwang so den Bürgerentscheid.
Gegen das Nachtspiel sprachen sich vor allem Hoteliers, Gastwirte und Souvenirhändler aus. Sie befürchteten Umsatzeinbußen. Zu so später Stunde vergehe den meist älteren Touristen nach dem Theater die Lust auf Einkauf und Einkehr. Aber auch Traditionalisten stellten sich gegen Stückl, der die verstaubten Passionsspiele modernisiert und von antisemitischen Passagen befreit hatte.
Der Sprecher der Nachtspielgegner, Florian Streibl, sprach von einer demokratischen Entscheidung. "Jetzt müssen wir alle gemeinsam die Passionsspiele 2010 zum Erfolg führen", sagte Streibl, Sohn des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl. Gleichzeitig wiederholte er die Bedenken der Gegner: "Das Nachtspiel ist ein großes Experiment."
Der Passionsspielfrieden in Oberammergau bleibt also wacklig. Zumal die nächsten Entscheidungen bald anstehen: Wer bekommt 2010 welche Rolle? Wer darf Jesus spielen, wer die Maria, wer den Judas? Auch bei der Auswahl der Schauspieler haben die Oberammergauer traditionell ein Mitspracherecht.
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