Pasolini-Schatz gehoben: „Neapel, es steigt die Wut“

Der Hamburger Laika-Verlag hat den verloren geglaubten Dokumentarfilm „Der 12. Dezember“ von Pier Paolo Pasolini gefunden und restaurieren lassen. Gezeigt wird er im Zuge einer Pasolini-Retrospektive.

Filmisch ausgeleuchtet: Bombenanschlag auf eine Bank in Mailand. Bild: Wikimedia Commons

HAMBURG taz | Er gehört zu den großen Regisseuren aus der Blütezeit des italienischen Kinos, aber im Gegensatz zu Fellini, De Sica oder Visconti war und ist Pier Paolo Pasolini in seiner Heimat nicht beliebt.

Der schwule, marxistische Mystiker ist unbequem, aber dennoch ist es erstaunlich, dass keine Institution der Kulturnation Italien, sondern ein kleiner Hamburger Verlag es fertigbrachte, ein verloren geglaubtes Werk von Pasolini zu finden und zu restaurieren. Dabei allerdings übernahm dann die Pasolini Gesellschaft in Bologna die Hälfte der Kosten.

Der Dokumentarfilm „Dodici dicembre“ („Der 12. Dezember“) aus dem Jahr 1971 taucht in den meisten Filmografien des Regisseurs gar nicht auf. Dabei zählt ihn der Soziologie-Professor und Pasolini-Übersetzer Peter Kammerer „zu den wichtigsten politischen Dokumenten der italienischen Nachkriegszeit“. Gezeigt wurde er allerdings kaum.

Der Film gilt als eine Kollektivarbeit der politischen Gruppe „Lotta continua“, einer Art italienischer APO, zu der neben den Studenten auch viele junge Industriearbeiter gehörten. Zeitzeugen berichten allerdings, der Regisseur des Films sei schon Pasolini gewesen.

Die Dokumentation wurde eher aus politischen als aus ästhetischen Gründen gemacht, sie sollte eine Gegenöffentlichkeit für einen damals aktuellen Skandal herstellen. Am 12. Dezember 1969 fand ein Bombenanschlag auf eine Bank in Mailand statt, bei dem 17 Menschen getötet und 88 schwer verletzt wurden. Inzwischen ist bewiesen, dass dies der erste einer ganzen Reihe von rechts-terroristischen Anschlägen war, doch damals wurde die Schuld linken Gruppen zugeschoben.

Die Polizei vernichtete Beweise, die rechte Presse begann eine Hetzkampagne und bekannte Linke wurden verhaftet. Der Anarchist Giuseppe Pinelli stürzte aus einem Fenster des Polizeipräsidiums in den Tod. Die Polizeiführung sprach von einem Selbstmord, der als Schuldeingeständnis zu verstehen sei.

In „Dodici dicembre“ erzählen Mithäftlinge, Familienangehörige und politische Mitkämpfer ihre Version der Geschichte. Dass Pinelli umgebracht worden war und Faschisten das Bombenattentat ausgeführt hatten, galt damals noch lange als umstritten, wurde aber schließlich durch die Ermittlungen bestätigt.

Als Investigation einer Verschwörung hat der Film heute nur noch historischen Wert, aber Pasolini geht tiefer. Er versucht eine Bestandsaufnahme des linken Widerstands im Italien jener Jahre zu machen. Auf dieser Ebene ist „Dodici dicembre“ eine Entdeckung.

Pasolini lässt ausschließlich die Kämpfer selber zu Worte kommen: alte Partisanen, die sich von der kommunistischen Partei verraten fühlen und sich für Selbstjustiz aussprechen. Ferner erzählen junge Arbeiter aus dem südlichen Reggio Calabria von einem Volksaufstand und süditalienische Proletarier schildern die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen bei Fiat.

Pasolinis Kamera ist immer mitten unter den Leuten. Dadurch wirken die Aufnahmen sehr unmittelbar: Man spürt das Selbstbewusstsein, das diese politischen Kämpfer ausstrahlen. Am Anfang des Films gibt es zum Beispiel eine minutenlange Fahrt der Kamera an den Reihen einer riesigen Demonstration entlang. Einmal reckt der Fahrer kurz die geballte Faust ins Blickfeld, ansonsten macht diese Aufnahme, die auch in der von Orson Welles begründeten Tradition der langen Anfangseinstellungen steht, die schiere Masse und Energie dieser Versammlung deutlich.

Diese Sequenz bleibt die einzige, bei der man ein stilistisches Wollen des Filmemachers vermuten kann. Ansonsten ist der Film gewollt kunstlos. Die Protagonisten sprechen meist direkt in die Kamera und berichten von ihren Lebensbedingungen: Ein junger Arbeiter beispielsweise schildert genau seinen Tagesablauf vom Aufstehen morgens um 3.30 Uhr bis zum Schichtende am späten Nachmittag. Was bleibt da noch zum Leben?

„Neapel, es herrscht Hunger, es steigt die Wut“, lautet der Zwischentitel, der in das Kapitel über einen Volksaufstand in der Stadt einführt. Der Film dokumentiert nicht nur den politischen Kampf, er ist Teil von ihm.

Als solch ein betont parteiliches Werk passt der Film ideal ins Konzept der „Bibliothek des Widerstands“ des Hamburger Laika-Verlags. Um ihn in den neuen Band „Verdeckter Bürgerkrieg und Klassenkampf in Italien“ aufzunehmen, musste ihn der Verlagsleiter Karl-Heinz Dellwo aber erst einmal finden: In ganz Italien gab es keine Filmkopie mehr.

Nach langer Suche gab es einen Hinweis, der Film sei auf der Berlinale gezeigt worden, aber dort war er auf keiner Spielliste zu finden. Jemand erinnerte sich schließlich vage daran, dass der Film in Hamburg gelandet sein könnte und tatsächlich gab es in der Kinemathek des Metropolis Kinos eine 16-mm-Kopie. Sie gehörte zu einem Paket von Filmen, das nach der Auflösung des „Central Filmverleihs“ beim Metropolis archiviert wurde.

Uraufführung der restaurierten Fassung von „Der 12. Dezember“ („Dodici dicembre“, OmU): Montag, 26. Mai, 19 Uhr, Metropolis, Hamburg Podiumsdiskussion und Lesung zur politischen Aktualität von Pasolini: Dienstag, 27. Mai, 20 Uhr, Kampnagel, Hamburg Vorstellung von Giorgio Gallis Buch „Pasolini. Der dissidente Kommunist – Zur politischen Aktualität von Pier Paolo Pasolini“: Mittwoch, 28. Mai, 19 Uhr, Istituto Italiano di Cultura, Hamburg
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