Parteitag der FDP: Endlich ausgeheult
Christian Lindner ist der einzige Kandidat für den neuen FDP-Vorsitz. Er will weniger Egos und mehr Wärme in der siechen Partei.
BERLIN taz | Was an diesem Wochenende in Berlin stattfindet, darf man sich getrost als operativen Eingriff am noch schwach atmenden Parteikörper vorstellen. Patientin und Operateurin in Personalunion wird die FDP sein. Eingeleitet wird die Reanimation öffentlich – beim Sonderparteitag der Liberalen.
In Berlin-Kreuzberg werden die Delegierten am Wochenende versuchen, nicht nur den schweren Sturz ihrer Partei aus dem Bundestag nach 64 Jahren zu verarzten. Der FDP soll auch wieder auf die Beine geholfen werden, noch im OP werden erste Gehversuche eingeleitet. Denn spätestens 2017 will die FDP ihre seit dem Wahlabend am 22. September angebrochene „Parlamentspause“ beenden, um dann erneut in Fraktionsstärke in den Reichstag einzuziehen.
Sichtbarer Ausdruck dieser Reanimation ist die neue Parteiführung, die am Wochenende zu wählen sein wird. Als einziger Kandidat für den Vorsitz tritt der nordrhein-westfälische Landeschef Christian Lindner an. Der 34 Jahre alte einstige FDP-Generalsekretär bringt ein neues Führungsteam an den Start.
An altgedienten und überregional bekannten Liberalen gehören dazu nur noch Schleswig-Holsteins FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki, der für den Posten des stellvertretenden Parteichefs kandidiert. Außerdem Hermann Otto Solms, der sich künftig als Schatzmeister um die klammen Finanzen der FDP kümmert.
Neue Generalsekretärin soll die Hessin Nicola Beer, 43, werden. Als zweite Vizechefin tritt die Düsseldorfer Oberbürgermeisterin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, 55, an. Lindner, der künftige Chef der Antiquotenpartei, hat offenbar verstanden, dass es im 21. Jahrhundert nicht mehr ohne Frauen in Spitzenämtern geht.
Wie sieht die künftige Europapolitik aus?
Dass es trotz der existenzbedrohenden Situation der FDP beim Sonderparteitag intern Knatsch geben wird, ist anzunehmen. Lindners Personaltableau passt manchen Landesverbänden nicht (siehe Text unten). Zudem wird der Parteitag zeigen, wie sich die FDP künftig europapolitisch zu positionieren gedenkt. Nach dem knappen 4,7-Prozent-Erfolg der Alternative für Deutschland (AfD) mehren sich unter den Liberalen eurokritische Stimmen.
Mehrfach haben Lindner, Kubicki und Beer bereits erklärt, sie stünden für einen proeuropäischen Kurs. Lindner wird also versuchen müssen, die Eurokritiker in der eigenen Partei einzubinden. Ihr bekanntester Vertreter, der „Eurorebell“ Frank Schäffler, kandidiert für das Präsidium.
Zudem hat der Parteichef in spe Anfang dieser Woche via Interview in der Süddeutschen Zeitung seinen Parteifreunden die Leviten gelesen. Die FDP, so Lindner, sei zuletzt als Fürsprecherin von Einzelinteressen aufgetreten, zudem habe man durch interne Querelen die Wähler vergrault: „Die FDP hat in der Art ihres Auftretens abstoßend gewirkt“, sagte Nochvizeparteichef Lindner.
Ein neues Image muss her
Künftig müsse es auch um ein neues Image gehen: „Wenn eine Partei miteinander umgeht, als seien das alles Egotaktiker, dann entsteht der Eindruck, dass diese Partei kalt ist und offensichtlich auch für das Gesellschaftsbild einer Wolfsgemeinschaft, eines Rudels steht.“
Wie genau der neue Umgang miteinander aussehen könnte, wird gleich am Samstag zu beobachten sein. Für die Rede des scheidenden Parteivorsitzenden Philipp Rösler sieht die Parteitagsregie gerade einmal 30 Minuten vor. Ob sich Nochaußenminister Guido Westerwelle oder der gescheiterte Spitzenkandidat Rainer Brüderle zu Wort melden, ist offen.
Bereits ab 15 Uhr beginnen die Wahlen zum Präsidium und zum Bundesvorstand. Gegen Abend wird man dann sehen, ob die Operation geglückt ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!