Parteitag der Berliner Linken: Langsam kommt Lederer in Fahrt
Linken-Spitzenkandidat Klaus Lederer geht erstmals im Wahlkampf auf Angriff – aber dezent. Die Partei bestätigt Katina Schubert als Vorsitzende.
Lederer ist noch nicht offiziell Spitzenkandidat der Berliner Linkspartei für die Abgeordnetenhauswahl Ende September. Erst im April soll er auf dem nächsten Parteitag dazu bestimmt werden. Aber niemand zweifelt daran, dass er es wird. Der Parteivorstand hat ihn nominiert, und keiner macht ihm in der Berliner Linken diesen Posten streitig.
Doch seine Ausgangsposition ist schwieriger als die der KonkurrentInnen bei SPD, CDU und Grünen. Anders als deren drei SpitzenkandidatInnen ist er als Kultursenator und Stellvertreter von Michael Müller in Regierungsverantwortung eingebunden. Und die Linke liegt aktuell in Umfragen hinter den drei anderen Parteien mit rund 16 Prozent auf Platz vier. Allerdings drängen sich alle nahe beieinander: Auch die CDU als stärkste kommt auf lediglich etwa 22 Prozent.
Es ist dann auch keine Hau-Drauf-Wahlkampfrede, die der 46-Jährige am Samstagmorgen hält. Lederers Stärke ist weniger die politisch angehauchte Fünf-Wort-Phrase, wie sie gerade vor allem von Berlins SPD wieder entdeckt wird, sondern die detailbeflissene Analyse. Und so macht sich der Kultursenator auf in eine umfassende Erkundung des Gegenwartsberlins nach gut vier Jahren Rot-Rot-Grün und unter Pandemiebedingungen.
Aktuell würden „die Haare länger, die Geduldsfäden kürzer“ – bei allen. Und die PolitikerInnen hätten keine Blaupause für den Umgang mit Corona, vielmehr gebe es auch unter den EntscheiderInnen „Verunsicherung und Ratlosigkeit. Trotzdem wird von der Politik Handeln erwartet.“
Lederer für härtere Maßnahmen gegen Corona
Lederer spricht sich angesichts der weiterhin hohen Infektionszahlen und der möglichen Gefahr durch ein mutiertes, stärker ansteckenderes Virus für härtere Maßnahmen im Lockdown aus – ohne allerdings konkret zu werden. Allerdings dürfe dafür nicht nur das Privatleben der Menschen reguliert werden. Auch die Wirtschaft müsse ihren Teil zur Pandemiebekämpfung betragen; die Politik sollte deswegen den Druck erhöhen: „Solidarität muss gesellschaftlich organisiert werden, das ist die Aufgabe der Politik.“ Am kommenden Dienstag beraten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die MinisterpräsidentInnen der Länder über den weiteren Umgang mit der Pandemie.
Diese zeige, so Lederer weiter, welche Bedeutung die öffentliche Daseinsfürsorge habe. In dieser Hinsicht habe die Koalition viel erreicht, etwa durch den Mietendeckel, das Stadtwerk, Lederers eigene dezentrale Kulturpolitik. Der Umbau zu einer sozial-ökologischen Stadt müsse weiter gehen, dabei dürfe Berlin nicht glattgebügelt werden. „Wir müssen die Nischen schützen, egal ob es der Club im Hinterhof ist oder die Gartenparzelle zwischen den S-Bahngleisen.“
Katina Schubert über DW-Enteignen
Lederer spricht sich zudem dafür aus, die Macht der großen Internetplattformen zu regulieren, und dafür wie bisher auch im Fall von Uber und Amazon mit Berliner Initiativen zusammen zu arbeiten.
Die Linke wolle das rot-rot-grüne Bündnis fortsetzen, sagt Lederer – wobei die Wahrheit ist, dass es aktuell für die Partei keine andere Machtoption gibt. Bei Lederer klingt das so: „Die Linke ist die einzige Wahlentscheidung, bei der man sicher sein kann, am Ende nicht die CDU im Senat sitzen zu haben.“
Und dann folgt doch noch ein bisschen Wahlkampf. Er wünsche sich, „SPD und Grüne würden sich genauso wie wir zur Fortsetzung von Rot-Rot-Grün bekennen.“ Das Blinken vor allem der Sozialdemokraten in Richtung Union sei irritierend. Schließlich erteilt er einem Herzenswunsch der neuen SPD-Spitze eine klare Absage: „Wir denken nicht daran, das Stadtentwicklungsressort wieder abzugeben.“
Auch dieser Parteitag war digital
Für all diese Punkte erhält Lederer keinen Applaus – was schlicht daran liegt, dass der Parteitag weitgehend digital ist, erstmals bei der Linkspartei in Berlin. Die rund 170 Delegierten sitzen zu Hause vor ihren Bildschirmen, wundern sich bisweilen über die seltsame Pausenmusik, eine Paarung aus Jazz und 90er-Jahre Rave, und haben die ein oder andere Pause aufgrund technischer Pannen zu überbrücken: Nicht jede Zuschaltung von Wortbeiträgen ist verständlich.
Aber am Ende, nach vielen Formalia, müssen die Delegierten doch noch raus zur Wahl des gesamten Vorstands und vieler weitere Posten. Anders als beim parallel laufenden CDU-Bundesparteitag schickt die Linke sie an eine echte Urne in den Bezirksgeschäftsstellen. Debatten über die eingereichten inhaltlichen Anträge werden aus Zeitgründen auf ein weiteres Treffen verschoben. Lediglich ein Antrag gegen die „Zerschlagung der S-Bahn“ – sprich die von der grünen Verkehrssenatorin Regine Günther vorangetriebene Ausschreibung von Teilstrecken – schafft es noch in den Leitantrag.
Große personelle, vor allem überraschende Veränderungen gibt es am Ende nicht, auch Landeschefin Katina Schubert und ihre drei StellvertreterInnen treten wieder an. Sie werden wiedergewählt, im Falle von Schubert mit 82 Prozent – wobei sie keine GegenkandidatIn hatte.
Auch die alte und neue Parteichefin hatte zuvor in ihrer Rede die Koalition gelobt: „Es ist uns gelungen, Schritte zu gehen, um die Stadt Stück für Stück wieder in die Hände der Berliner zu geben.“ Sie sprach von einer linken Handschrift, etwa beim verbilligten Sozialticket, dem kostenlosen Schulmittagessen und Schülerticket. Und dem Mietendeckel: „Die Mieten sinken zum ersten Mal. Viele Menschen müssen keine Angst mehr haben, ihr Zuhause zu verlieren.“
Zudem habe die Linke in der Koalition durchgesetzt, dass das Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co enteignen in die zweite Stufe komme. Jetzt gehe es darum, es zum Erfolg zu führen: „200.000 Unterschriften in der Pandemie zu sammeln, das wird Hardcore. Aber ich bin mir sicher, dass wir das schaffen.“ Schubert forderte eine Aufnahmeprogramm des Landes für Geflüchtete, die derzeit in Bosnien-Herzegowina in Eiseskälte ausharren müssen.
Sie bemängelte zugleich, dass es unter Rot-Rot-Grün nicht überall Verbesserungen gegeben habe: So sei die Polizeipraxis oft noch von Härte etwa gegenüber linken Demonstrationen gekennzeichnet, etwa bei der jüngsten Rosa-Luxemburg-Demo, „während Nazis die Bannmeile stürmen“. Zudem sei es schlecht, „dass wir den Paradigmenwechsel in Sachen Abschiebung nicht hinbekommen haben“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Die Regierungskrise der Ampel
Schnelle Neuwahlen sind besser für alle
Bilanz der Ampel-Regierung
Das war die Ampel
Israelische Fans angegriffen
Gewalt in Amsterdam
Die Grünen nach dem Ampel-Aus
Grün und gerecht?
Angriffe auf israelische Fans
Sie dachten, sie führen zum Fußball
Folgen des Ampel-Aus für die Miete
Leerstelle Mieterschutz