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Parteijugend über Koalitionen„Rot-Grün-Rot täte Deutschland gut“

Die Spre­che­rin­nen von Jusos, Grüner Jugend und Solid sind sich einig: Die Mutterparteien sollen sondieren. Denn die Schnittmengen sind groß.

Anna Peters, Jessica Rosenthal und Clara Büttner Foto: Elias Keilhauer, David Klammer, Ben Loss

taz: Frau Büttner, Frau Peters, Frau Rosenthal, brauchen wir für das Klima individuellen Verzicht? Weniger Autofahren, weniger Fliegen, weniger Fleischessen?

Jessica Rosenthal (Jusos): Klimapolitik ist eine Systemfrage. Es nutzt nicht viel, wenn der Einzelne jetzt nur noch ein Steak in der Woche isst. Nichts ­gegen bewussten Konsum. Aber entscheidend ist, ob wir die Mär, dass Markt und Innovationen reichen, weiter glauben.

Carla Büttner (Solid): Konsumkritik bringt uns nicht weiter. Mit Adorno gesagt: Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Außerdem geht Verzicht zulasten von Menschen mit geringem Einkommen. Die können sich keine fair produzierten Produkte von hoher Qualität und nachhaltige Mobilität leisten. Wir brauchen einen Systemwechsel.

Also Ordnungspolitik und kein Verzicht, Frau Peters?

Anna Peters (Grüne Jugend): Individuell den ökologischen Fußabdruck zu errechnen und sich als Klima-Girl zu fühlen, ist der komplett falsche Ansatz. Er entbindet Politik von der Verantwortung. Die Öko-Verzichtsdebatte sollte historisch in den 2000ern in den USA davon ablenken, welche Schäden die Öl- und Gasindustrie angerichtet hat, und tut es bis heute auch bei uns. Das spielt Konservativen, Lobbyisten und Klimazerstörern in die Karten. Wir brauchen Ordnungsrecht und eine Koalition, die früher aus der Kohle aussteigt. Das ist verantwortungsvolle Politik.

Da sind Sie sich einig. Reicht denn Klimaneutralität bis 2045, wie es die Jusos wollen?

Peters: Nein. Aber ich bin es leid, über 2045 und Klimaneutralität zu reden. Wir wissen, dass wir jetzt handeln müssen. Wir wissen das schon seit mehr als 25 Jahren, länger, als ich lebe. Wir müssen früher als 2038, früher, als es Olaf Scholz sagt, aus der Kohle aussteigen. Wir brauchen jetzt einen kompletten Turn in der Bundespolitik. Die Debatte über 2045 lenkt davon nur ab.

Rosenthal: Wir Jusos sagen nicht: Klimaneutralität 2045 reicht. Es muss so schnell gehen wie möglich. Dafür wollen wir die Mindestabstände bei Windkrafträdern endlich vernünftig regeln und Genehmigungsverfahren beschleunigen, massiv investieren – vor allem in den öffentlichen Nahverkehr. Wir Jusos setzen uns dafür ein, dass in den Koalitionsverhandlungen beim Klima viel mehr Tempo gemacht wird. Gerade für junge Menschen ist das zentral.

Die Linkspartei hat beim Klima ein radikales Programm. Bei Sahra Wagenknecht klingt das aber anders. Warum diese Doppelbotschaft?

Büttner: Das Wahlprogramm wurde von der Mehrheit beschlossen. Es gilt. Wenn Einzelne das anders sehen, können sie das machen. Aber das ist nicht die Meinung der Partei.

Macht Klimaschutz Spaß?

Peters: Auf jeden Fall! Wir sollten viel mehr über Möglichkeiten reden, die klimaneutrale Kommunen haben. Das reicht von Parks, die zu Naherholungsgebieten werden, über Straßen, die nicht von Autos zugeparkt sind, bis zu genossenschaftlich organisierten Solar-Bürgerinitiativen. Das ist eine großartige Vision für unsere Gesellschaft.

Büttner: Klimaschutz würde das Leben von vielen hier und heute deutlich verbessern.

Rosental: Ich kandidiere jetzt in Bonn. Das ist die Stauhauptstadt Nummer eins in NRW. Es wäre doch besser, nicht mehr im Stau zu stehen, weil es einen guten öffentlichen Nahverkehr auch ins Umland gibt.

Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Ich weiß, wie es ist, wenn der letzte Bus um elf Uhr am Samstag fährt, wenn man feiern gehen will und dann doch jemand das Auto nehmen muss. Das nervt ohne Ende. Das können wir alles viel besser. Wer fühlt sich denn in Betonwüsten wohl? Das kommt aber in den konservativen Angstdebatten, die immer um Verzicht und Verbot kreisen, nie vor.

Peters: Richtig. Wir müssen Freiheit anders definieren. Die 18-jährige Schülerin, die im Dorf lebt, in dem einmal in der Stunde ein Bus kommt, ist nicht frei. Sie wäre es, wenn die öffentliche Infrastruktur ihr Grundrecht auf Mobilität garantieren würde. Das Gleiche gilt für Ältere, die nicht frei sind, solange kein Rufbus verfügbar ist.

Politik für Leute zu machen, die Geld haben, sich ein oder zwei Autos leisten, und denen auch noch eine E-Auto-Prämie hinter herzuwerfen ist keine freiheitliche Politik. Freiheit heißt nicht Rücksichtslosigkeit und keine Regeln, sondern in Infrastruktur für alle zu investieren.

Braucht Deutschland eine rot-grün-rote Regierung?

Peters: Ja. Es gibt Gerechtigkeitsfragen, vom Klima über Wohnungssuche bis zum Lohn von Pflegerinnen, bei denen FDP und Union keine Lösungen haben. Unsere drei Parteien haben da am meisten Übereinstimmung.

Olaf Scholz will aber eine Ampelregierung. Und Sie, Frau Rosenthal?

Rosenthal: In zentralen Gerechtigkeits- und Klimafragen täte Rot-Rot-Grün Deutschland gut. Natürlich gibt es für die SPD Grundprinzipien, die nicht verhandelbar sind, etwa bei der Außenpolitik. Olaf Scholz hält zu Recht offen, welche Koalition regieren wird.

Unbedingt muss aber die Union in die Opposition – das ist für uns klar. Sie hat inhaltlich kein Angebot und macht panisch diese peinliche Rote-Socken-Kampagne. Wir wollen eine Mehrheit jenseits der Union. Am besten Rot-Grün. Wenn das nicht reicht, sollten wir unbedingt auch mit der Linkspartei sondieren.

Frau Büttner, ist Solid für eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei?

Büttner: Wir befürworten keine Regierungsbeteiligung, wir sind auch nicht dagegen. In erster Linie sind wir Sozialist:innen. Wir werden Rot-Rot-Grün danach beurteilen, ob es uns auf dem Weg zum Systemwechsel voranbringt. Für eine progressive Regierung muss die CDU auf jeden Fall raus. Wir fordern von einer Regierung unter anderem konsequente Klimaschutzpolitik, einen bundesweiten Mietendeckel und einen Stopp der Aufrüstung der Bundeswehr.

Das Nato-Bekenntnis scheint der Knackpunkt zu sein. SPD und die Grünen haben das zur Eintrittskarte für Sondierungen gemacht …

Peters: Das wird hochstilisiert. Die Linkspartei sagt ja, sie wird es daran nicht scheitern lassen. Sie weiß auch, dass der kleinste Koalitionspartner nicht die Außenpolitik bestimmen kann. Wir hätten aber beim Klima, in der Wirtschafts- und Handelspolitik mit der CDU sehr große Probleme. So zu tun, als ob die Nato das größte aller Probleme in den Koalitionsverhandlungen sei, ist falsch.

Rosenthal: Für die SPD ist außenpolitische Stabilität wichtig. Es wird mit der SPD keinen Austritt aus der Nato geben. Aber die Linken-Vorsitzende Janine Wissler hat die richtige Frage aufgeworfen: Wie muss man die Nato weiterentwickeln? Diese Frage ist gerade nach dem gescheiterten Afghanistan-Einsatz mehr als legitim.

Es gäbe ein Trommelfeuer gegen eine rot-grün-rote Regierung. Könnten Ihre Parteien dem standhalten?

Büttner: Ich hoffe, dass viele begreifen, das sich die CDU damit lächerlich macht. Und dass unsere Parteien und Jugendorganisationen stark genug wären, sich nicht unterkriegen zu lassen.

Peters: Wenn man ernsthaft Rot-Grün-Rot sondiert, wird es von Springer bis zu Unternehmerverbänden großen Gegenwind geben. Aber in einer Demokratie müssen andere Koalitionen möglich sein. Es ist gefährlich für unsere Demokratie zu sagen: Der Shitstorm wird viel zu groß, lassen wir das lieber. Was ist das für eine Demokratie, wenn wir schon jetzt davor Angst haben?

Rosenthal: Die CDU hält es für undenkbar, nicht zu regieren, und diffamiert alle anderen Möglichkeiten. Sogar der FDP unterstellt die Union einen Linksruck. Das ist selbstgerecht. Aus Angst vor dieser Polarisierung aufzugeben heißt, der problematischen Debattenverengung der CDU/CSU nachzugeben. Rot-Rot-Grün regiert in drei Bundesländern.

Politik heißt Kompromisse schließen. Haben Sie da schon schmerzliche Erfahrungen gemacht?

Peters: Wir haben als Grüne Jugend oft eine linkere Meinung als unsere Partei. Bei der Debatte um das Wahlprogramm mussten wir viele Kompromisse eingehen, bei der Transformation in der Autoindustrie oder dem CO2-Budget. Aber diesen Prozess muss man durchkämpfen, um am Ende ein stärkeres Programm zu haben.

Rosenthal: Kompromisse gehören zur Demokratie. Ein Problem gibt es aber, wenn viele Menschen den Eindruck haben, dass in der Politik ja doch alles gleich ist. Wir haben eine Vision davon, wie unser Land nicht nur in fünf Jahren, sondern auch in 50 Jahren aufgestellt sein soll. Bei jedem Kompromiss muss man sich fragen: Kommen wir mit diesem Schritt unserer Vision näher?

Kevin Kühnert wollte vor zwei Jahren noch BMW vergesellschaften, jetzt spricht er sich in Berlin gegen die Enteignung von Wohnungskonzernen aus. Ist das nicht zu viel Kompromiss, zu schnelle Anpassung?

Rosenthal: Das ist eine Abwägung, keine Anpassung. Für Kevin ist die Frage, wie Menschen ein bezahlbares Zuhause haben können, extrem wichtig. Das Volksbegehren für Enteignungen hält er nicht für den richtigen Weg. Die Jusos in Berlin wiederum unterstützen das Begehren. Beides ist legitim. Das Ziel bleibt das gleiche – bezahlbare Wohnungen und ein Ende der Spekulation.

Büttner: Zu Kevin Kühnert möchte ich jetzt nichts sagen. Nur so viel: Es ist klar, dass wir Deutsche Wohnen & Co enteignen unterstützen und einen bundesweiten Mietendeckel fordern. Wir müssen ja nicht immer die gleiche Meinung haben.

Wird Deutschland 2022 rot-grün-rot regiert?

Rosenthal: Das entscheiden die Wählerinnen und Wähler am 26. September.

Büttner: Es ist möglich. Aber es wird schwer.

Peters: Ich hoffe es.

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3 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Eine Koalition zwischen der SPD, Grünen und der Linken am Katzentisch wäre der Todeskuß für die Neo-Sozialisten. Mitterand läßt grüßen.

  • Die Jugendorganisationen der Parteien sind immer radikaler, im jeweiligen politischen Spektrum, gilt auch für Union und FDP, erst recht für die AfD.

    Die breite Mehrheit der Bürger ist es aber nicht.

  • RS
    Ria Sauter

    Schön, sie hoffen auf rot/grün/rot.



    Hoffe ich in diesem Fall, es gibt nicht wieder einen solchen Sozialabbau wie damals.



    Jede/r muß allerdings eigene Erfahrungen machen.