Parteiinterne Debatte: SPD ringt um Haltung zu Netzsperren
Seit dem Frühjahr diskutieren die Sozialdemokraten den Umgang mit Internetsperren. Ein Initiativantrag wurde beim Parteitag ohne Debatte abgelehnt.
BERLIN taz | Internetsperren für kinderpornografische Inhalte gibt es bereits in verschiedenen Ländern, insbesondere in Skandinavien. In Deutschland ist Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Hauptprotagonistin. Auf Widerstand stieß sie anfangs weniger bei der SPD als bei Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der Bürokratie und Kosten für die deutschen Internetfirmen fürchtete.
In einem Alleingang handelte von der Leyen deshalb Verträge mit den größten deutschen Internetanbietern aus, damit diese die Internetsperren "freiwillig" einführen. SPD-Justizministerin Brigitte Zypries hielt diese Vertragslösung jedoch für rechtsstaatlich untauglich und protestierte. Damit die Sozialdemokraten in der Öffentlichkeit nicht als Gegner von Kinderpornosperren dastehen, beschloss die SPD-Fraktionsführung im Frühjahr, bei einem entsprechenden Gesetz mitzumachen. Daraufhin legte der zuständige Wirtschaftsminister zu Guttenberg im März doch einen Gesetzentwurf vor.
Zeitweise forderten SPD-Leute sogar Verschärfungen. SPD-Jugendschützer wollten auch Jugendpornoseiten sperren, und der innenpolitische Sprecher Dieter Wiefelspütz schlug Sperren für "verfassungsfeindliche" Inhalte vor, was er später dementierte.
Die SPD hatte allerdings unterschätzt, wie massiv und grundsätzlich die Netzgemeinde Internetsperren ablehnt. Eine Petition an den Bundestag, die noch bis Montag unterschrieben werden kann, hat bislang rund 120.000 Unterzeichner.
In Partei- und Fraktionsvorstand der SPD begann deshalb in den letzten Wochen eine ernsthafte Diskussion, ob man das heikle Projekt nicht doch besser in die nächste Wahlperiode verschiebt. Ein entsprechender Antrag der Parteilinken Björn Böhning und Franziska Drohsel an den SPD-Parteitag vom Wochenende war nur das sichtbare Symptom dieser Diskussion.
So weit wollte der SPD-Parteivorstand am Samstag dann aber doch nicht gehen. In einer Resolution wird nur eine "erhebliche Verbesserung" des Regierungsentwurfs gefordert. Manche Punkte in der Resolution sind in der Koalition schon Konsens, andere gehen darüber hinaus. Auf eine konstruktive Haltung drängte vor allem SPD-Verhandlungsführer Martin Dörmann. "Ohne Gesetz gibt es Internetsperren auf vertraglicher Grundlage", so sein Argument, "das ist noch problematischer."
Allerdings brachte SPD-Netzexperte Jan Mönikes den ursprünglichen Antrag gegen Internetsperren doch noch als Initiativantrag beim Parteitag ein. Wegen der klaren Positionierung des Parteivorstands wurde der Antrag am Sonntagnachmittag jedoch ohne Debatte abgelehnt.
Leser*innenkommentare
Peter
Gast
Während wir hier diskutieren ist den Verantwortlichen bewusst, dass es so nicht funktioniert. Abituraufgaben gehören nicht auf die Schulbänke von Grundschülern, das ist wohl jedem Klar. Es wird Zeit gewonnen während sich die Verantwotlichen darum bemühen das nötigste zu retten. Das WWW ist noch so warm wie die Brötchen beim Becker und es geht um Macht - wie immer.
weizenkeim
Gast
I@ H Ruch
Sie meinen, die Presse sollte das Ablenkungsmanöver "Netzsperren" der Regierenden besser ignorieren?
Ganz im Gegenteil meine ich, dass die "Presse" sich viel zu wenig gegen diese Pläne positioniert.
Bei dem Thema "Netzsperren" handelt es sich m.E. sicherlich um das wichtigste innenpolitische Thema zur Zeit. Nicht nur in diesem Land. Die dafür verantwortlichen Politiker müssten niedergeschrieben werden, denn sie handeln mit hoher Wahrscheinlichkeit aus niederen Motiven.
Danny Schweizer
Gast
Die Begründung vom Guttenberg ist ja der Knaller. Nur weil er Wirtschaftsminister ist, darf Wirtschaftlichkeit doch nicht sein einziges Maß sein, so ein Thema zu beurteilen. Was für ein Freak.
Harald Wenk
Gast
Skandinavien, wieder einmal sozialdemokratisches Referenzland, war früher einmal Inbegriff der
sexuellen Freuzügigkeit. Mittlerweile ist dort
teilweise der Besuch von Prostituierten strafbar.
Der Kampf gegen das "älteste Gewerbe der Welt" ist nur wenig jünger als dieses selbst.
Selbst freiwillge Betreiberkontrollen üben tatsächlich eine informelle Zensur ein.
Der Kampf um eine Einflußmöglichkeit auf die Verbreitung von Informationen ist genauso alt wie diese Möglichkeit.
Vielleicht macht man ja gerne ein Wahlkampfthema daraus.
Kontrapunkt
Gast
Ich an deren Stelle würde sofort den Koaltionszwang aufgeben, sonst haben sie sich jetzt schon das Problem die 20% Hürde zu erreichen sicher!
Steffen Koehler
Gast
Zu Hr. Ruch: Über SPD brauchen wir nicht reden, der Parteitag gestern war eine Luftnummer!!!
Zu unserer Presse: Thema Bad Banks!!
Der Soffin empfiehlt deshalb die Auslagerung von Risikowertpapieren in so genannte Bad Banks. "Bad Banks helfen Kapital sparen und dienen damit der Stabilität der Finanzmärkte", heißt es in dem Papier weiter. Die Gesetzespläne der Regierung zur Gründung von Bad Banks würden die Banken entlasten, zugleich aber die Eigentümerverantwortung aufrechterhalten.
Das ist genauso schwachsinnig, wie wenn ich meine fälligen Rechnungen in die Tonne werfe und denke, dass ich nun finanziell viel besser dastehe!!!
Da hinterfragt keiner Copy and Paste!!!
M. Schulz
Gast
Hat Herr Wiefelspütz wirklich Sperren für "verfassungsfeindliche" Inhalte vorgeschlagen? Soweit ich es verstanden habe, wurde ihm dies nur in den Mund gelegt. Haben Sie hier andere Informationen? Falls nicht, so fände ich es infam, ihm dies abermals zu unterstellen.
Lars Reineke
Gast
Die Petition kann noch bis einschließlich Dienstag unterzeichnet werden.
Hans Reinsch
Gast
Eine sich selbst sozialdemokratisch bezeichnende Partei ringt mit ihrer Haltung zu Zensurmaßnahmen! Das muss man sich erst mal auf der Zunge zergehen lassen...
Leser
Gast
Ich stimme Herrn Ruch in seinem Kommentar vor mir voll zu, dass das Projekt Internetsperre ein Wahlkampthema ist, welches auch noch von wichtigen Themen ablenkt.
Allerdings muss ich ihm widersprechen. Auch mit solchen unwichtigen Aktionen einer Regierung im Wahlkampf muss sich die Presse beschäftigen, denn sonst haben wir eine Politik, die noch weniger vom Volk gemacht wird.
Helmut Ruch
Gast
Wenn die Presse solche Ablenkungsmanöver unserer Regierenden von den wirklichen Problemen dieses Landes einfach ignorieren würde, wäre der Spuk sehr schnell vorbei. Aber das gewohnte Zusammenspiel funktioniert wie immer. Und so wird dann nicht etwa die perverse Tatsache zum Wahlkampfthema, dass in diesem Lande Millionen Kinder unter Hartz IV-Bedingungen in Armut und ohne jede Perspektive aufwachsen müssen, sondern Scheinaktivitäten gegen Phänomene wie Kinderpornographie oder Gewalt darstellende Computerspiele.
Angenehmer Nebeneffekt: der Bürger gewöhnt sich schon mal an den Gedanken einer generellen Zensur des Internets, Herr Wiefelspütz hat da ja schon mal laut weiter gedacht. Und das sollte man sehr ernst nehmen! Im Gegensatz zur im neoliberalen Sinne weitgehend gleichgeschalteten Presse steht das Internet noch nicht unter der Kontrolle einiger weniger Konzerne. Hier könnten sich in den nächsten Krisenjahren Kommunikations- und Informationsformen entwickeln, die den gegenwärtigen Herrschaftsstrukturen gefährlich werden könnten (und somit natürlich verfassungsfeindlich wären!). Dem soll in Wirklichkeit vorgebeugt werden!