Parteienforscher Franz Walter: "Steinmeier wird durch die Hölle gehen"
Franz Walter sieht schwere Zeiten auf den Kanzlerkandidaten zukommen. Denn das Problem der SPD "war ja nicht in erster Linie ein Problem Beck". Aber Steinmeier könnte doch ein Held werden.
taz: Herr Walter, die SPD rückt nach links, und nun präsentiert sie den Architekten der Agenda 2010 als Kanzlerkandidaten. Kann das gutgehen?
Franz Walter: Die SPD ist ja nicht wirklich nach links gerückt. Alle Änderungen an der Agenda 2010 blieben immer im von Gerhard Schröder einst vorgegebenen Rahmen. Aber ein Dilemma wird bleiben: Einerseits werden die Linken um Andrea Nahles darüber wachen, dass der Kanzlerkandidat nicht zu demonstrativ vom gefühlten Linksschwenk abrückt. Auf der anderen Seite werden Steinmeiers Fans im rechten Flügel verlangen, dass der Schröder-Kurs bibeltreu beibehalten wird.
Noch vor wenigen Tagen leugnete die SPD-Spitze, dass ihr Kanzlerkandidat nun gekürt wird. Warum jetzt doch?
Den Sozialdemokraten ist ihr Loser-Image an die Nerven gegangen. Sie hatten den diffusen Wunsch, den Gordischen Knoten zu durchschlagen, sich von komplexen Sachzwängen zu befreien. Doch diese Zwänge werden bleiben.
Hilft Becks Rücktritt der Partei, oder ist es selbst dafür zu spät?
Das Problem der SPD war ja nicht in erster Linie ein Problem Beck. Unter Ihrem Helden Müntefering stand die Partei 2004 noch weit schlechter da: Austritte wie nie zuvor und 21 Prozent bei den Europawahlen.
Kann der neue alte Parteichef Franz Müntefering die kopflose Partei bändigen?
Bundestagswahlkämpfe sind die Stärke von Müntefering. Da haut es auch mit seinen ja ziemlich simplen Sprüchen von der "klaren Kante" hin. Aber danach? Ein Konzeptionalist war er nie. Und sein Abgang aus dem Amt des Parteichefs 2005 war auch alles andere als rühmlich.
Von nun an wird Steinmeier alle Blicke auf sich ziehen. Kann er dem Schicksal des glücklosen Parteichefs entgehen?
Dem Säurebad der Kritik von allen Seiten kann er nicht entgehen. Wenn er sich aus Diskussionen heraushält, werden alle fragen: Warum führt er nicht? Wenn er aber stringent führt, werden viele rufen: Der Spitzenkandidat integriert die Flügel der Partei nicht. Steinmeier wird durch die Hölle gehen. Aber wer Regierungschef einer der größten Industrienationen werden will, muss das aushalten. Daraus kann sogar eine Art Heldenepos entstehen, von dem er profitiert.
Der erste Kreis dieser Hölle ist der Landtagswahlkampf in Bayern.
Wenn die CSU wieder über 50 Prozent erzielt, die SPD aber bei 20 Prozent dümpelt, dann wird Steinmeier in der Kritik stehen. Dann ist der weltgewandte Diplomat plötzlich auch ein Loser.
Wie kann er dem Image entgehen?
Was einen starken Kanzlerkandidaten ausmacht, ist die Fähigkeit zur Allianz. Helmut Schmidt hatte 1976 und 80 keine eigene Mehrheit und wurde trotzdem Kanzler. Steinmeier muss die Union einschüchtern, indem er zeigt, dass er auch mit anderen koalieren kann.
Steinmeier hat da nicht viele Möglichkeiten. Rot-Rot-Grün hat er ausgeschlossen, und Rot-Grün scheint in weiter Ferne.
Eine Ampel-Koalition ist noch denkbar. Aber es ist schon eine irre Angelegenheit: Die SPD hat einen Kanzlerkandidaten aufgestellt, der gar nicht Kanzler werden kann. Steinmeier steht für die Fortsetzung der Großen Koalition mit der SPD als Juniorpartner und ihm selbst als Außenminister.
Kann der Außenexperte Steinmeier einen Wahlkampf führen, in dem es voraussichtlich um Bildung, Wirtschaft und Arbeit gehen wird?
Steinmeier ist einer der sogenannten Architekten der Agenda 2010. Da hat er also genug Expertise. Die SPD wird die Chancengleichheit und die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg in den Mittelpunkt stellen. Das alles zielt vor allem auf die verunsicherte Mitte. Gerade jene breite Mitte, die seit Rot-Grün immer weniger sozial aufsteigen kann. Das SPD-Image als Schutzmacht der kleinen Leute wird noch weiter in den Hintergrund treten.
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