Partei der dänischen und friesischen Minderheit: SSW will nach Berlin segeln
Ein Parteitag hat am Wochenende grünes Licht gegeben: Erstmals seit sechs Jahrzehnten wird der Südschleswigsche Wählerverband an einer Bundestagswahl teilnehmen.
Der SSW will mit einer Landesliste und eigenen Kandidatinnen und Kandidaten bei der Bundestagswahl antreten. Direktkandidaten sollen im Wahlkreis Flensburg-Schleswig, Nordfriesland-Dithmarschen Nord, Rendsburg-Eckernförde, Kiel sowie Pinneberg – wegen Helgoland – aufgestellt werden. Spitzenkandidatur und Landesliste sollen auf einem außerordentlichen Parteitag im Januar 2021 beschlossen werden. Eine Arbeitsgruppe soll zudem einen Entwurf für das Bundestagswahlporogramm erarbeiten, der von Februar bis April 2021 parteiintern diskutiert werden soll. Auf einem außerordentlichen Landesparteitag im Mai kommenden Jahres soll das Bundestagswahlprogramm dann beschlossen werden.
Der SSW-Vorsitzende Flemming Meyer hatte eindringlich für eine Teilnahme an der Bundestagswahl geworben. „Wir können heute Geschichte schreiben. Denn wir wollen den Minderheiten und der Region eine Stimme in Berlin geben.“ Die Rahmenbedingungen der Minderheitenpolitik hätten sich in den vergangenen Jahren einschneidend verändert. Es gebe kaum Fortschritte bei der Minderheitenpolitik auf europäischer und Bundesebene, sagte Meyer.
Die Erosion der Parteienlandschaft mache minderheitenpolitische Verhandlungen auf Bundesebene immer schwerer. „Nur noch wenige Bundestagsabgeordnete wissen heute noch, warum es nationale Minderheiten in Deutschland gibt oder warum ihnen ein Recht auf Schutz und Förderung zustehen sollte.“ Er sei der Meinung, dass mit einem SSW-Mandat „der zunehmenden minderheitenpolitischen Geschichtsvergessenheit im Bundestag“ entgegen gewirkt werden könne, sagte Meyer. „Wir könnten als Sprachrohr der nationalen Minderheiten im Bundestag agieren.“ Ein weiterer Pluspunkt sei, dass man sich ohne Wenn und Aber für die Region einsetzen könne – ohne sich zwischen Fraktionszwängen und parteiinternen Interessen anderer Bundesländer zerreiben zu lassen.
Ein Comeback wurde stets mehrheitlich abgelehnt
Bisher war der Südschleswigsche Wählerverband erst einmal im Bundestag vertreten. Und zwar in der ersten Legislaturperiode von 1949 bis 1953 mit dem Abgeordneten Herman Asmuss Clausen. Ein Wiedereinzug gelang nicht. Seit 1961 hat der SSW nicht mehr an Bundestagswahlen teilgenommen. Seitdem wurde ein Comeback regelmäßig diskutiert, jedoch stets mehrheitlich abgelehnt. Vor gut zehn Jahren erklärte ein Landesparteitag die Debatte für beendet. Im vergangenen Jahr dann holte der Landesvorstand das Thema zurück auf die Tagesordnung.
Das Für und Wider wurde auf Regionalkonferenzen beraten. Bei Probeabstimmungen dort sprachen sich mehr als 70 Prozent für eine Teilnahme des SSW an der Bundestagswahl aus. Auch auf dem Landesparteitag in der Idraetshalle in Flensburg überwogen die zustimmenden Wortmeldungen. Auch wenn viele Redner die Herausforderung und das Wagnis ansprachen, zeigten sie sich überzeugt davon, diese bestehen zu können. „Wir können Berlin“, sagte ein Redner.
Der Landtagsabgeordnete Christian Dirschauer betonte, „wer nicht handelt, werde gehandelt. Wir wollen aber handeln.“ Andere verwiesen darauf, dass man bei Bundestagswahlen bisher „nur die zweitbeste Wahl“ auf dem Stimmzettel ankreuzen könne, dies müsste sich ändern, auch um die eigenen Themen verstärkt auf die bundespolitische Agenda setzen zu können. „Wir vertreten uns nur selber“, sagte Landtagsfraktionschef, Lars Harms. Auch im Bundestag müsse es eine eigene Stimme für die Themen des SSW geben. Es glaube doch niemand im Ernst, „dass die Habecks und Kubickis uns vertreten“.
Ein Abgeordneter könne zwar nicht alles erreichen, aber mehr als kein Abgeordneter, sagte Severin Staack von der Jugendorganisation SSWUngdom. Er sei es leid, immer zu bitten und betteln zu müssen und maximal bis Kiel denken zu dürfen.
Kritiker mahnten hingegen, man solle sich auf Südschleswig und Schleswig-Holstein konzentrieren. Sie befürchteten unter anderem, nicht genügend Ressourcen für einen Bundestagswahlkampf zu haben und negative Folgen für die kommenden Landtags- und Kommunalwahlen.
Ein Vorteil für den SSW ist, dass Parteien nationaler Minderheiten nach dem Bundeswahlgesetz von der Fünf-Prozent-Hürde befreit sind. Der SSW müsste jedoch – wie bei Landtagswahlen in Schleswig-Holstein – so viele Stimmen gewinnen, dass ihm nach dem Berechnungsverfahren ein Sitz zusteht. Nach Parteiangaben wären rund 45.000 bis 50.000 Wählerstimmen für ein SSW-Mandat im Bundestag erforderlich. Zum Vergleich: Bei der Landtagswahl 2017 erhielt der SSW knapp 49.000 Stimmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen