Parolen gegen Tourismus in Mexiko: Fiesta oder Siesta
Wenn es um Gentrifizierung und Tourismus an Mexikos schönen Ecken geht, bedienen sich „Aktivist*innen“ gerne eines erfolgversprechenden Feindbilds.
D ie Gringos machen Ärger. Wegen des Lärms einiger Musikgruppen würden US-Tourist*innen nicht mehr nach Mazatlán kommen, klagten jüngst Hotelbesitzer aus der zentralmexikanischen Pazifikstadt. Die lokalen Bands ziehen bis in die späte Nacht auf der Strandpromenade entlang und blasen, trommeln und singen, was das Zeug hält. Das fanden einige Urlauber*innen aus dem Norden offenbar störend. Zweifellos machen Diskos, Restaurants und insbesondere die vierspurige Straße entlang des kilometerlangen Strandes reichlich mehr Krach, aber sei’s drum.
Der Sound der Bandas, wie die Bands genannt werden, ist tatsächlich recht eindringlich. Doch er gehört nun mal zur traditionellen Kultur der Region und für viele Mexikaner*innen zählen ein Ständchen und ein paar Tränen zu den wichtigsten Vergnügungen während eines Restaurantbesuchs am Strand.
Jedenfalls führten erste Versuche der Stadtverwaltung, auf Druck der Hoteliers die Lärmfreiheit der Musiker*innen einzuschränken, zu wilden Protesten, Demos und sogar zu Schlägereien mit Polizisten. Wenn den Tourist*innen die Musik nicht passe, sollten sie halt zu Hause bleiben oder woanders hingehen, kritisierten Einheimische zu Recht. „Es ist absurd, irgendwo hinzukommen und einzufordern, dass die öffentliche Dynamik so verläuft, wie man selbst will und nicht, wie sie ist“, reagierte die Stadtexpertin Clara Escoffié.
Richtig, zumindest in diesem Zusammenhang. Doch de facto wurde der Konflikt durch die unterschiedlichen Interessen der heimischen Tourismusindustrie hervorgerufen: Siesta oder Fiesta. Das unterscheidet schließlich ihre Kund*innen voneinander. Die einen wollen Action, die anderen Entspannung.
Dennoch bringt die Aufregung die Sorge über eine Entwicklung zum Ausdruck, die in vielen Orten Mexikos zu beobachten ist. Menschen aus Mexiko-Stadt, New York oder Paris kommen, machen Urlaub oder bleiben gleich da und ziehen in die attraktiven Stadtteile. Die Mietpreise steigen, günstige Wohnungen werden knapper. Kurzum: Gentrifizierung.
„Baustoff rassistischer Ausbeutung“?
Diese Dynamik ist für manche Einheimische katastrophal. Natürlich gilt es deshalb, wie in vielen Städten weltweit, Wege zu suchen, um dieser Zerstörung von Lebensgrundlagen und alltäglicher Kultur entgegenzuwirken. Doch anstelle einer rationalen Analyse der Gründe und Möglichkeiten schütteln „Aktivist*innen“ gerne ein erfolgversprechendes Feindbild aus dem Ärmel: den Fremden, den Ausländer, natürlich am besten den Gringo.
Dabei sind nicht alle so zaghaft wie die Kritiker*innen aus Mazatlán. „Gringos sind die neue Plage“, heißt es etwa an einer Hauswand in der Touristenstadt Oaxaca. Nach einer Demo gegen Gentrifizierung war an einer Mauer zu lesen: Das Mestizentum, also die Vermischung von Indigenen und Weißen, „ist der Baustoff rassistischer Ausbeutung. Gringos raus!“ Die rund 90 Prozent der Bevölkerung Mexikos, die selbst Mestiz*innen sind, dürften solche Reinrassigkeitsfantasien nicht wirklich gut finden.
Auch einige Viertel der Hauptstadt haben im letzten Jahrzehnt rasante Veränderungen erlebt. In der Roma, der Condesa oder Polanco von Mexiko-Stadt haben die Mietpreise locker deutsche Verhältnisse erreicht, einige Bars sind teurer als so manche US-Bar. Doch auch hier zielt der Zorn auf digitale Nomad*innen und Tourist*innen in die falsche Richtung. Wie in Berlin hat in Mexiko-Stadt eine langjährige verfehlte Politik dazu geführt, dass heute viel zu wenig bezahlbarer Wohnraum vorhanden ist.
Schon lange werden zu wenig Wohnungen gebaut. Planlosigkeit, fehlende Steuereintreibungen, überteuerte Baupreise, Korruption und vieles mehr spielt dabei eine Rolle. Derzeit beschäftigt sich die Stadtregierung mit Maßnahmen zur Kontrolle von Airbnb und anderen Plattformen. Es soll verhindert werden, dass durch professionelle Anbieter und die Vermittlungsagenturen die Mieten weiter steigen. Eine zweifellos sinnvolle Maßnahme und sicher zielführender als die Parole, die Aktivist*innen in Riesenlettern auf eine Wand in der Roma geschrieben haben: „Gringo, go home.“
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