Parlamentswahlen in Japan: Wenn Habenichtse wählen gehen

Die wachsende soziale Kluft führt in Japan zu Unmut. Bei den Parlamentswahlen am kommenden Sonntag zeichnen sich Verluste für die Regierungspartei ab.

Kampagne zur Motivierung von Jungwählerinnen: Auf einem T-Shirt sind zwei Personen, die sich an den Händen halten

Geht wählen! Kampagne junger Aktivisten in Japan zur Mobilisierung Gleichaltriger Foto: reuters

TOKIO taz | Vor der Parlamentswahl am Sonntag ist die tiefe Kluft zwischen Besitzenden und Habenichtsen erstmals ganz oben auf die politische Agenda von Japan gerückt. Die steigende Arbeitslosigkeit und die Einkommensverluste durch die Coronapandemie haben vielen Japanerinnen und Japanern ihre prekäre Arbeits- und Finanzsituation überdeutlich vor Augen geführt.

Dabei war die Unzufriedenheit schon in den neun Amtsjahren von Premierminister Shinzo Abe und dann Yoshihide Suga immer mehr gewachsen. Die neoliberale Wirtschaftspolitik der „Abenomics“ mit ihrem billigen Geld und niedrigen Firmensteuern hat nach Ansicht vieler Wähler nur die Reichen reicher gemacht.

Premier Fumio Kishida, erst seit Anfang Oktober im Amt, hat diese Stimmung frühzeitig gewittert und einen „neuen japanischen Kapitalismus“ propagiert. „Wachstum, Deregulierung und Strukturreformen allein führen nicht zu realem Glück“, erklärte er.

Nachdem er Ende September zum Vorsitzenden der Liberaldemokraten (LDP) und danach zum Regierungschef gewählt worden war, hatte er angekündigt, mit einem riesigen Konjunkturpaket noch vor dem Jahresende die Grundlage für steigende Einkommen zu schaffen. Unternehmen sollen weniger Steuern zahlen, wenn sie die Löhne und Gehälter erhöhen.

Wähler misstrauen dem Braten

Eigentlich müssten seine Ankündigungen gut ankommen. Unter Abe und Suga sind die Löhne nur um magere 1,2 Prozent gestiegen. Doch die Wählerinnen und Wähler misstrauen dem Braten. Umfragen zufolge wird die Regierungskoalition aus LDP und ihrem kleinen Partner Komeito zwar an der Macht bleiben, aber viele Mandate einbüßen. Laut einer Umfrage könnte die LDP sogar ihre Mehrheit verlieren.

„Das Eingeständnis, dass das neoliberale Trickle-Down nicht funktioniert, kommt – auch im internationalen Vergleich – sehr spät“, meint der Ostasienexperte Axel Klein von der Universität Duisburg-Essen. „Die Aussage von Kishida, ohne Wachstum könne es keine Verteilung geben, klingt sogar fast zynisch.“

Die Opposition verspricht erhöhte Sozialausgaben und eine Senkung der Mehrwertsteuer

Ein weiterer Grund für die Skepsis: Kishida will die Abenomics-Politik fortsetzen. Damit beugt sich der 64-Jährige offenbar dem einflussreichen Namensgeber der Abenomics. Der konservative Expremier Abe hatte bei der Wahl von Kishida zum LDP-Chef im Hintergrund die Strippen gezogen. „Viele Wähler sehen in Kishida nur das moderate Gesicht einer von Konservativen dominierten Regierung“, sagt der Japan-Analyst Tobias Harris vom Center for American Progress.

Die Opposition unter Führung der Konstitutionellen Demokratischen Partei (CDP) verspricht eine sofortige Umverteilung durch mehr Mindestlohn, eine gesenkte Mehrwertsteuer und großzügigere Sozialausgaben. Doch diese Ideen hat die LDP bereits größtenteils übernommen.

Forderung nach mehr Diversität

Daher unterstrich die CDP im Wahlkampf ihre Forderung nach mehr Diversität, etwa durch die Zulassung von gleichgeschlechtlichen Ehen und unterschiedlichen Nachnamen für Ehepaare. „Hier unterscheiden wir uns am meisten von der Regierung“, betont CDP-Chef Yukio Edano.

Seine bisherigen Initiativen für mehr Diversität sind bislang an der Zweidrittelmehrheit der konservativen Regierungskoalition gescheitert, obgleich die Japanerinnen und Japaner Umfragen zufolge inzwischen wesentlich liberaler denken. „Vielleicht ist die Gesellschaft durch die irregulären Arbeitsverhältnisse, das grobmaschige Sozialnetz, die Altersarmut und die Diskriminierung der LGBTQ-Community schon so ausgezehrt, dass viele Menschen eine Regierung wollen, die diese Missstände bekämpft, statt nur Wachstum zu predigen“, meint Japan-Experte Klein.

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