Parlamentswahl in Tschechien: Der Berlusconi von Prag
Die Protestpartei ANO des Milliardärs Andrej Babis mischt die am Freitag beginnenden Parlamentswahlen auf. Kritiker fürchten die Macht des Unternehmers.
PRAG taz | Federnden Schrittes geht Andrej Babis auf die Menschen zu, die die Prager U-Bahn-Station Muzeum an diesem verregneten Mittwochmorgen ausspuckt. Sie liegt direkt unter der Statue des Heiligen Wenzel, des tschechischen Nationalheiligen, am Wenzelsplatz. „Nehmen Sie einen Krapfen, junge Frau“, ruft Babis und drückt einer Passantin ein weißes Papiertütchen in die Hand. ANO steht darauf, in großen, dunkelblauen Druckbuchstaben.
Im Tschechischen steht ANO für „Aktion unzufriedener Bürger“. Es bedeutet aber auch schlicht „Ja“. Genau das will Andrej Babis mit Hilfe seiner Krapfen erreichen: Das Ja der unzufriedenen Bürger bei den vorgezogenen Parlamentswahlen, die am heutigen Freitag und morgen in Tschechien stattfinden.
„Ich verfolge jetzt eine Idee, die schon länger in mir reift. Es tut mir leid, dass sich dieses Land so perspektivlos entwickelt“, so begründet Babis sein politisches Engagement. Als Agrar-Chemie- und Lebensmittelunternehmer hat es Babis weit gebracht. Der gebürtige Slowake, Jahrgang 1954, ist mit einem geschätzten Privatvermögen von zwei Milliarden Dollar Tschechiens zweitreichster Mann.
Rund 8,5 Millionen Tschechen sind aufgerufen, am 25. Oktober zwischen 14 und 22 Uhr und am 26. Oktober von 8 bis 14 Uhr das 200-köpfige Abgeordnetenhaus zu wählen. Insgesamt 24 politische Parteien und Bewegungen stellen sich zur Wahl. Es wird geschätzt, dass zwischen fünf und sieben von ihnen die Fünf-Prozent-Hürde meistern werden. Das Abgeordnetenhaus wird auf vier Jahre gewählt. Seit Entstehung der Tschechischen Republik 1993 hat aber nur eine Regierung die volle Legislaturperiode überstanden. Die jetzigen Wahlen wurden einberufen, nachdem die konservative Regierungskoalition um den Ministerpräsidenten Petr Necas im vergangenen Juni über eine Korruptions-und Bespitzelungsaffäre stolperte. (amo)
Jetzt gibt er den Milliardär zum Anfassen. Er ist durch Böhmen und Mähren gereist, hat auf Marktplätzen Hände geschüttelt und in Kulturzentren mit Wählern diskutiert. Und Tausende Krapfen verteilt. Immer mit Aprikosenfüllung. Kaum hat Babis einem Passanten ein Papiertütchen mit dem süßen Inhalt in die Hand gedrückt, steht ein Mitarbeiter bereit, der ein Flugblatt der Bewegung nachreicht.
Der Chef ist das Programm
Das Programm der Bewegung ANO ist eigentlich Andrej Babis selbst. Seine Botschaft: Schaut mich an, ich habe es weit gebracht, bin genauso unzufrieden wie ihr und werde etwas tun. Im ganzen Land lächelt ein durch Photoshop verschönerter Babis von Wahlplakaten herab aufs Volk. Die Hände lässig in den Hosentaschen, verkündet er da sein Ziel: „Damit unsere Kinder wieder hier leben wollen.“
Seinen Anhängern gilt er als Messias der tschechischen Politik, gekommen, um die Bürger zu erlösen von der Ohnmacht gegenüber allgegenwärtiger Korruption und Klüngelei. Er habe sein Imperium, die Agrofert Holding, ohne Bakschisch aufgebaut, rühmt sich Babis. Er gebe fast 30.000 Leuten Arbeit. Wie mit ihnen, will er auch mit dem Staat verfahren.
Babis sagt, er wolle mehr Experten statt Bürokraten einsetzen: „Das Problem hier ist ja nicht nur die Korruption, sondern auch der Mangel an Kompetenz. Hier wird für so viele überflüssige Dinge Geld ausgegeben. Staatliches Eigentum wird unter seinem Wert verkauft, Staatsdiener schaffen sich auf Kosten des Steuerzahlers überteuerte Möbel an.“
Beispiele für die Inkompetenz des Staatsapparats liegen buchstäblich auf der Straße, so Babis: „Das Autobahnnetz ist klein, das Eisenbahnnetz zu veraltet für Schnellzüge. Und Prag ist eine der wenigen Metropolen, in der es keine öffentliche Direktverbindung vom Flughafen in die Stadt gibt.“
Platz zwei für die Neuen?
„Babis“, sagt ein Passant, der an der U-Bahn-Haltestelle Muzeum gerade umsteigt, „der hat es wenigstens nicht nötig zu klauen, der hat schon Geld.“ Wie fast alle hält er ein weißes Tütchen in der Hand. Ob er die ANO wählen wird, will er nicht sagen. Umfragen sprechen dafür, dass die ANO die Front aus Sozialdemokraten und Kommunisten aufbrechen wird, die Umfragen seit Monaten heraufbeschwören.
Aktuell liegt ANO mit 16 Prozent hinter den Sozialdemokraten, die mit 23 Prozent am stärksten abschneiden. Und vor den Kommunisten, die bei 14 Prozent stehen. Er wolle lieber in die Opposition, verkündet Babis. Aber wenn es schon die Regierung sein muss, ließ er verlauten, würde er gerne Finanzminister sein.
So abwegig ist das nicht, meint der Politologe Roman Joch: „Als Koalitionspartner wird die ANO jeder Partei passen. Sie gibt sich als Partei der Mitte und spricht die Wähler an, die mit den etablierten Parteien unzufrieden sind.“ Besonders attraktiv aber sei die ANO für die Sozialdemokraten. „Die können mithilfe von ANO vielleicht eine Mehrheitsregierung bilden und müssen sich dann nicht von der Duldung der Kommunisten abhängig machen“, urteilt Joch.
Babis lacht. Auch wenn er noch nicht ganz in der Politik angekommen sei, sagt er, so wisse er sehr wohl, dass Koalitionen erst nach der Wahl besprochen werden. In der Rolle der Schlüsselfigur gefällt er sich gut.
Einträgliche Freundschaften
Doch das Saubermann-Image des Unternehmers bekommt Risse. Denn so transparent, wie er behauptet, ist sein Weg vom Außenhandelsdelegaten der kommunistischen Tschechoslowakei zum Superreichen nicht.
Als Sohn eines slowakischen Diplomaten verbrachte Babis einen großen Teil seiner Kindheit und Jugend im Ausland. So ging er zum Beispiel im schweizerischen Genf in die Schule. Dort muss er feste Freundschaften geknüpft haben, die über Grenzen und Jahre hinweg hielten.
Zumindest behauptet Babis, dass es alte Freunde aus Schweizer Zeiten waren, die mit einer obskuren Briefkastenfirma namens Ostfinanz 1995 bei Agrofert einstiegen. Agrofert war damals die tschechische Tochtergesellschaft der slowakischen staatlichen Chemiefirma Petrimex. Für sie arbeitete Babis seit den 80er Jahren.
„Woher das Geld in Wirklichkeit stammte, das wissen nur Gott und Andrej Babis“, sagt Pavel Safr. Der Chefredakteur des Wochenmagazins Reflex hat die tschechische Medienszene seit den 90er Jahren geprägt wie kaum ein anderer.
Wie errang Babis sein Vermögen?
Niemand kann ausschließen, dass das Geld von der Muttergesellschaft Petrimex selbst stammt, abgezapft über dunkle Kanäle. „Tunnelieren“ nennen die Tschechen die Praxis: Während der Privatisierung der frühen 90er Jahre verschoben Manager staatlicher Firmen Geld auf ihre Privatkonten. Jedenfalls übernahm Babis kurz nach der angeblichen Übernahme eines Schweizer Briefkastens die Agrofert.
Doch der Verdacht, nicht ganz koscher zu seiner Firma gekommen zu sein, prallt am Kandidaten ab. „Andrej Babis ist nicht mehr aufzuhalten“, fürchtet Reflex-Chefredakteur Safr. Ähnlich ist es bei der Frage nach Babis’ Tätigkeit für die tschechoslowakische Staatssicherheit StB. Die slowakische Tageszeitung Sme hat Akten gefunden, in denen Babis als StB-Agent „Bures“ aufgeführt ist. Wissentlich soll er in den 1980ern mit der kommunistischen Geheimpolizei zusammengearbeitet haben.
Dagegen wehrt sich Babis: „Ich war im Außenhandel beschäftigt und musste, wie jeder, Auslandsreisen melden. Aber ich hatte nie mit denen zu tun, die andere bespitzelten oder Existenzen zerstörten.“ In seiner Heimatstadt Bratislava ist er jetzt vor Gericht gezogen, um seinen Namen reinzuwaschen.
„In Zukunft wird in unseren Medien kaum noch über solche Fälle berichtet werden“, meint Pavel Safr und zuckt resigniert die Schultern. Der Journalist sieht in Babis vor allem eine Gefahr für die Meinungsfreiheit im Land. Denn der Kandidat scheint mehr zu seinem Glück zu brauchen als eine Politkarriere und die 200 Chemie-, Agrar- und Lebensmittelfirmen, die sich in der Agrofert-Holding vereinigen.
In drei Jahren zum Medienmogul
Seine Zukunft sieht Babis in den Medien, wie er dem tschechischen Webportal motejlek.com mitteilte: „In drei Jahren will ich das größte Medienhaus des Landes haben.“ Im Juni dieses Jahres kaufte Babis von der Rheinisch-Bergischen Verlagsgesellschaft das Medienhaus Mafra. Und damit die beiden einflussreichen Tageszeitungen Mladá fronte Dnes und Lidové noviny, dazu Radiosender, einen Fernsehsender, mehrere Webportale und einen Mobilfunkanbieter. Inzwischen wird gemunkelt, dass Babis ein Auge auf den größten Privatsender, TV Nova, geworfen hat.
Auch die Ringier Axel Springer Media AG, die Safrs Reflex herausgibt, hat das Interesse Babis’ geweckt. „Ich habe ihm klar gesagt, dass ich meine Stelle bei Ringier kündigen würde, sollte er den Verlag übernehmen“, sagt Safr bestimmt. Als Vollblutjournalist könne er nicht für jemanden arbeiten, der nach politischer Macht strebe. „Unsere Aufgabe ist es, solche Machtmenschen zu kontrollieren, nicht in ihrem Sold zu stehen.“
Dieser nimmt die Ansage persönlich. „Pavel Safr ist ein Psychopath“, erklärte Babis wütend im Fernsehen. Entschuldigen werde er sich dafür nicht: „Und wenn ich mich bis zu meinem Lebensende mit Safr vor Gericht streiten werde.“
Safr seufzt resigniert. Wenn Babis die Medienszene beherrschen wird, „werden viele Geschichten nicht veröffentlicht werden. Ich werde dann wohl in den Untergrund im Internet müssen. Oder nach Deutschland auswandern.“
Doch so einfach entkommt man Andrej Babis nicht. Auch in Deutschland backt Babis seine Brötchen. Oder lässt sie backen. Von der Firma Lieken zum Beispiel, mit der er vor Kurzem seine Agrofert Deutschland auf sechs Unternehmen erweiterte, mit einem Jahresumsatz von 1,8 Milliarden Euro.
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