Parlamentswahl in Serbien: Vučić auf allen Kanälen

Am Sonntag gehen die Ser­b*in­nen an die Urnen. Parteien interessieren niemanden. Alles dreht sich nur um den allmächtigen Staatspräsidenten.

Ein Anzugträger sitzt in einem Repräsentationraum, im Hintergrund Fahnen, darunter die der EU

Alles dreht sich nur um ihn: Vucic Foto: Marko Djurica/reuters

BELGRAD taz | Der Werbespot zeigt Mutter, Vater und zwei Söhne in Südserbien wie sie abgehetzt in ihrer Wohnung schwitzen. Plötzlich sagt der Vater: „Wir fahren sofort nach Griechenland.“ Die Kinder schreien: „Yes!“ „Spinnst du, so eine lange Reise für zwei Tage am Meer“, sagt die Frau zu ihrem Mann. „Ach was, in vier Stunden sind wir da. Nur auf die Autobahn und Gas geben“, erwidert der Vater energisch.

Daraufhin wird ein Bild eingeblendet: „Aleksandar Vučić – Für unsere Kinder“. Nächste Szene: Mutter und Vater sitzen glücklich und entspannt am Meer. Die Mutter öffnet ein goldenes Medaillon mit einem Foto von Staatspräsident Vučić. „S’agapo (Ich liebe dich auf Griechisch)“, sagt die Frau mit verliebter Stimme. Ende. Licht aus.

Am Sonntag finden in Serbien Parlaments- und Kommunalwahlen statt. Doch es dreht sich buchstäblich alles um Aleksandar Vučić – so als ob Präsidentschaftswahlen stattfinden würden. Seine Serbische Fortschrittspartei (SNS) wird in der Wahlkampagne nicht einmal erwähnt, seine Par­tei­ge­nos­s*in­nen sind abgetaucht.

Man sieht und hört nur Vučić, der unermüdlich von einem zum anderen gleichgeschalteten Fernsehsender zieht, Krankenhäuser, Autobahnen oder Fabriken eröffnet und den Serben verspricht, dass ihr monatliches Durchschnittseinkommen in den kommenden fünf Jahren von 500 auf 900 Euro steigen wird.

Brücken gebaut, Corona besiegt

Der beschriebene Werbespot ist nur einer von vielen, der suggeriert, dass die Bürger Serbiens alles ihm und nur ihm allein zu verdanken haben: Vučić baut Brücken. Vučić hat das Coronavirus besiegt. Vučić wird die Wirtschaftskrise besser als alle anderen Staatschefs der Welt meistern.

Unmittelbar vor den Wahlen erhielten Rentner als Coronavirushilfe ein Geschenk von 4.000 Dinar (rund 34 Euro) und alle volljährigen Bür­ge­r*in­nen 100 Euro. Vučić sei Dank.

Egal ob es sich um die Ministerpräsidentin, oder Minister*innen, Bürgermeister*innen, Fabrik- oder Schul­di­rek­to­r*in­nen handelt – alle scheinen zu glauben, sich andauernd vor laufenden Kameras für alles Mögliche bei Vučić bedanken zu müssen.

Seit die SNS 2012 überraschend an die Macht kam, führt sie unter Vučićs eiserner Führung einen Totalkrieg nicht nur gegen die politische Opposition, sondern gegen alle Andersdenkenden. Das Ergebnis: Meinungsumfragen prognostizieren am Sonntag einen Sieg von Vučićs SNS mit 60 Prozent.

Missbrauch von Ressourcen

„Medien sind gleichgeschaltet, staatliche Institutionen stehen unter der Kontrolle der SNS, staatliche Ressourcen werden für Parteiinteressen missbraucht. Wähler werden eingeschüchtert, Bürger gezwungen, der SNS ihre Stimme zu geben, damit sie ihren Job nicht verlieren“, sagt Dragan Djilas, Chef der Partei Freiheit und Gerechtigkeit.

Er ist einer der Gründer der Koalition Allianz für Serbien, der viele wichtige Oppositionsparteien beigetreten sind und die wegen „undemokratischer“ Verhältnisse zum Wahlboykott aufruft.

Von zwanzig Parteien und Koalitionen, die an den Wahlen teilnehmen, müssen außer der SNS, ihrem Koalitionspartner Sozialistische Partei Serbiens (SPS) und den Parteien nationaler Minderheiten alle anderen darum bangen, ob sie die Sperrklausel überspringen. Und das, obwohl diese erst vor wenigen Monaten von fünf auf drei Prozent gesenkt wurde.

Vučićs größte Sorge bei diesen Wahlen ist, dass seine regierende Koalition allein im Parlament bleibt und die Europäische Union ihm, trotz vollem Körpereinsatz der EU-Technokraten zugunsten des Präsidenten, das Trugbild von einer Demokratie in Serbien nicht länger abkaufen könnte.

Dreiprozenthürde als Problem

Die „richtige“ Opposition wirft nun „Vučićs Opposition“ vor, dass ihr die SNS geholfen habe, die für die Wahlregistrierung notwendigen 10.000 Unterschriften zu sammeln. Und dass notfalls einer Anzahl der über 700.000 disziplinierten Mitglieder der SNS befohlen wird, für ausgewählte marginale Parteien zu stimmen, damit sie die Dreiprozenthürde schaffen und, wenigstes formal, ins Parlament nicht nordkoreanische Verhältnisse einziehen.

„Ich werde an diesen Wahlen nicht teilnehmen, weil ich noch immer etwas Selbstachtung habe“, sagt der bekannte serbische Filmregisseur Goran Marković. Er wolle nicht in diesem inszenierten Spiel teilnehmen. Sein Recht sei es zu sagen: „Danke, ohne mich.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.