Parlamentswahl in Österreich: Die kleinste große Koalition
Die Große Koalition aus SPÖ und ÖVP dürfte das Land weiterhin regieren. Die Freiheitlichen legen deutlich zu und die Grünen kommen kaum vom Fleck.
WIEN taz | Wenn man in der Politik von einem Start-Ziel-Sieg sprechen kann, dann trifft es auf die SPÖ zu. Die Kanzlerpartei unter Werner Faymann erreichte bei den Nationalratswahlen am Sonntag die allgemein prognostizierten 26,5 Prozent und damit den ersten Platz. Koalitionspartner ÖVP blieb mit 23,7 im Rahmen der Erwartungen. Beide verloren aber nach der ersten Hochrechnung über 2 Prozentpunkte und erzielten das jeweils schlechteste Ergebnis in der Parteigeschichte.
Dennoch dürfte es für die Fortsetzung der Großen Koalition reichen, die nur mehr aus alter Gewohnheit so genannt werden kann. ÖVP-Generalsekretär Hannes Rauch gab sich nachdenklich: „Die neue Regierung braucht einen neuen Denkansatz.“ Für SPÖ-Wahlkampfleiter Norbert Darabos „überwiegt die Freude“ über den ersten Platz.
ÖVP-Vizekanzler Spindelegger spürt im Nacken bereits den heißen Atem von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, der sich mit 22 Prozent und fast 5 Prozentpunkten plus gegenüber 2008 als eigentlicher Sieger feiern lässt. Den Grünen, die einen Kampf um den dritten Platz ausgerufen hatten, ging wieder einmal in der Zielgerade die Luft aus. Mit ernüchternden 11,5 Prozent können sie zwar auf einen knappen Zuwachs verweisen, blieben aber hinter den eigenen Erwartungen weit zurück.
Stefan Wallner, Bundesgeschäftsführer der Grünen, versuchte die Enttäuschung schönzureden: „Wir haben quer durch Österreich an Vertrauen dazugewonnen.“ Die schwarz-rote Mehrheit zu brechen und damit „eine Reformkoalition zu erzwingen“ sei aber nicht gelungen.
Schrulliger Milliardär und neue Neos
Das Team Stronach des schrulligen Milliardärs Frank Stronach schaffte zwar mit 6 Prozent den Einzug in den Nationalrat, verfehlte aber das Ziel, sich mit einem zweistelligen Ergebnis als Koalitionspartner zu empfehlen. Die eigentliche Überraschung lieferten die Neos, die erst vor einem knappen Jahr mit Startgeld des Bauunternehmers Hans Peter Haselsteiner gegründet wurden.
Sie dürften mit 4,6 Prozent im nächsten Parlament vertreten sein. Mit liberalen Positionen appellierten sie vor allem an Jungwähler und ÖVP-Anhänger, denen ihre Partei zu verzopft geworden ist. Sie dürften aber auch von den Grünen Stimmen abgesaugt haben und von Jörg Haiders Gründung, der arg zerzausten BZÖ, das die Vierprozenthürde verfehlte.
Der Wahlkampf war zwar relativ inhaltsleer, hatte aber durch inflationäre Fernsehduelle teilweise hohen Unterhaltungswert. Bemerkenswert war, dass die Koalitionspartner Faymann und Spindelegger, die mit einem Kuschelkurs begonnen hatten, der vermuten ließ, die künftige Koalition sei bereits ausgemachte Sache, im Laufe der Zeit zunehmend auf Konfrontation gingen.
In den letzten Tagen hatten sie einander unterstellt, politisch fremdgehen zu wollen. Eindringlich warnte Faymann vor Schwarz-Blau, gegebenenfalls ergänzt durch Stronach, und Spindelegger versuchte die Schrecken einer rot-grünen Allianz an die Wand zu malen: „Sie wollen uns das Schnitzel wegnehmen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen