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Parlamentswahl in GeorgienVerloren hat die Demokratie

Kommentar von Barbara Oertel

Nach der Wahl in Georgien will die Opposition den deutlichen Sieg der Regierungspartei nicht anerkennen. Junge Wähler*innen sind frustriert.

Unterstützer*innen der Vereinigten Nationalen Bewegung des Ex-Präsidenten Saakaschwili in Tiflis Foto: Shakh Aivazov/dpa

A us der Traum? Von wegen! Schenkt man den vorläufigen offiziellen Ergebnissen der Parlamentswahl in Georgien vom vergangenen Samstag Glauben, wird die Regierungspartei Georgischer Traum des milliardenschweren Oligarchen Bidzina Iwanischwili auch in den nächsten vier Jahren die Geschicke in der Südkaukasusrepublik bestimmen. Angeblich rund 48 Prozent der Stimmen sowie 13 von 30 in der ersten Runde gewonnene Direktmandate sichern der Partei erneut eine komfortable Mehrheit in der neuen Volksvertretung, um ihre Alleinherrschaft fortzusetzen.

Zweifel an diesem eindeutigen Sieg der Partei, die seit 2012 regiert, sind jedoch angebracht. Einheimische Wahlbeobachter*innen stellten zahlreiche Ungereimtheiten fest. Auch die schwammige Stellungnahme der OSZE dürfte viele Georgier*innen eher skeptisch zurücklassen: Die Grundfreiheiten bei der Wahl seien respektiert worden, Vorwürfe des Drucks auf Wähler*innen und die Verwischung der Grenze zwischen Regierungspartei und Staat hätten das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Wahlprozess sinken lassen, heißt es darin.

Davon einmal abgesehen: Vor allem die Frustation vieler junger Wähler*innen ist verständlich. Schließlich waren sie der Motor der Massenproteste von 2019. Diese trugen entscheidend dazu bei, eine Reform des Wahlrechts durchzusetzen, die die Anzahl der Direktkandiaten reduziert – zugunsten der Mandatsverteilung über Parteilisten.

Und die Opposition? Sie ist zerstrittener denn je und hat es nicht geschafft, eine klare Alternative zu formulieren. Unter der Ägide des in der Ukraine lebenden georgischen Ex-Präsidenten Michail Saakaschwili hat sie jetzt jedoch nichts Besseres zu tun, als zu Protesten gegen das Ergebnis und zu einem Boykott der parlamentarischen Arbeit aufzurufen. Der Oppositionspolitiker Nika Melia bezeichnet die Wahl sogar als Krieg, der nicht verloren worden sei.

Derartige Einlassungen sind brandgefährlich, da sie die Polarisierung in der Gesellschaft weiter befördern. Zudem wird erneut ein Defizit des politischen Systems deutlich: Parteien als solche spielen kaum eine Rolle, sie sind wenig mehr als One-Man-Shows und dienen als Resonanzboden für die persönlichen Fehden ihrer jeweiligen Vorsitzenden. Auch wenn noch nicht klar ist, wie die Machtverhältnisse im Parlament genau aussehen werden, ein Verlierer steht bereits fest: die Demokratie in Georgien.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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