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Parlament diskutiert über CoronavirusIm Ausnahmezustand

Selbst angesichts der Coronakrise bleibt die parteipolitische Konfrontation im Berliner Abgeordnetenhaus nicht aus.

Nach jeder Rede wird desinfiziert: Donnerstag im Berliner Abgeordnetenhaus Foto: dpa

Berlin taz | Dass es nichts werden würde mit dem viel beschworenen, zumindest symbolischen Zusammenstehen in Zeiten von Corona, ist an diesem Donnerstag im Abgeordnetenhaus schon um kurz nach zehn klar. Parlamentspräsident Ralf Wieland (SPD) hat gerade eine Sitzung eröffnet, wie es sie noch nie gab. Nur wenig mehr als die Hälfte der Abgeordneten sind im Saal wegen des Abstandsgebots und keine Zuschauer außer Journalisten.

Als dann Wieland den auf Corona positiv getesteten Abgeordneten Frank Zimmermann (SPD) und Martin Trefzer (AfD) alles Gute wünscht und Applaus aller Fraktionen dafür aufkommt, ist für die Presse ein Satz aus einem Dialog zweier Mitglieder der rot-rot-grünen Koalition zu hören, die ausnahmsweise nebenan auf der Besuchertribüne sitzen: „Ich habe nur für Frank Zimmermann geklatscht.“

Da mag nun Michael Müller als Regierungschef in den folgenden 35 Minuten eine gute, wenn nicht sogar sehr gute Rede halten – eine, die an die Vernunft genauso wie an Gefühle appelliert. Da mag er der Opposition danken, dass sie die mehrere hundert Millionen Euro schweren Hilfsprogramme seines Senats mitträgt: Es hilft nichts, es ist nichts von Geschlossenheit zu spüren.

Daran haben beide Seiten ihren Anteil. Da ist etwa CDU-Fraktionschef Burkard Dregger. Seine Fraktion hat tags zuvor im Hauptausschuss noch kritisiert, die rot-rot-grüne Koalition wolle „im Windschatten der Coronakrise“ den von ihr ungeliebten Flughafen Tegel nicht nur zeitweise, sondern dauerhaft schließen.

Jetzt aber wirkt Dregger selbst so, als wolle er politischen Gewinn aus der Krise ziehen – wie später auch FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja, der einen Stopp des höheren Landesmindestlohns fordert. Dregger bietet dem Senat Unterstützung an, aber im Gegenzug müsse der auf „politische Projekte, die unsere Stadt spalten“, verzichten.

Hielt eine starke Rede: Michael Müller Foto: dpa

Darunter fällt für Dregger, per Vorkaufsrecht Geld für „völlig überteuerte Immobilienankäufe auszugeben“ und die umstrittene Diese e. G. zu unterstützen. „Nerv nicht rum“, kommentiert die Linkspartei-Abgeordnete Gabriele Gottwald das von der Tribüne. Und SPD-Fraktionschef Raed Saleh kontert: „Herr Dregger, Sie haben sich mit dieser Rede selbst disqualifiziert.“

Auch AfD-Fraktionschef Georg Pazderski lässt die Chance nicht aus, die Krise für seine Zwecke zu nutzen: Jene „Null-Toleranz“, die er im Umgang mit Corona-Regelbrechern sieht, würde er sich immer wünschen, sagt er. Und holt noch breiter gegen die rot-rot-grüne Koalition aus: „Wir haben keine Zeit für sozialistische Experimente, Klimawahn und breitere Radwege.“

Wir werden gestärkt aus der Krise hervorgehen

Michael Müller, SPD

Carola Bluhm, die Chefin der Linksfraktion, bringt das zu einer traurigen Zwischenbilanz der Debatte: „Dass die Krise auch eine Chance für mehr Gemeinsamkeit sein kann, das hat die Opposition noch nicht unter Beweis stellen können.“

Bluhm und ihre Grünen-Kollegin Silke Gebel machen sich dafür stark, dass die Wertschätzung für die später auch von Müller gefeierten Helden des Corona-Alltags bei künftigen Lohnverhandlungen noch in Erinnerung ist. „Das darf sich nicht nur in abendlichen Gesängen vom Balkon widerspiegeln“, sagt Gebel, „sondern gehört auch auf den Gehaltszettel.“ Ablehnende Zwischenrufe bleiben bei diesen Worten aus – zumindest das scheint Konsens.

Regierungschef Müller selbst distanziert sich in seiner Rede von dem, was er „Kriegsrhetorik“ nennt und anderen Regierungschefs zuschreibt – wobei er offen lässt, ob er damit Macron oder deutsche Ministerpräsidenten meint. Ja, man sei in einer Ausnahmesituation, „aber wir leben in keinen Kriegs- oder Nachkriegsumständen“, sagt er, „wer den Unterschied nicht kennt, sollte sein Eltern oder Großeltern fragen.“

Auch im Zuschauerbereich saßen Abgeordnete – immer mit schönem Abstand Foto: dpa

Müller warnt vor Hast, will erst sehen, wie bisherige Maßnahmen wirken, bevor es weitere gibt. Er sei überzeugt, dass Maßnahmen am besten wirken, wenn sie freiwillig eingehalten werden. „Ich will absolute Ausgangssperren auf jeden Fall vermeiden“, sagt Müller, schließt sie aber auch nicht aus: „Es kann auch noch mehr Maßnahmen geben, die uns einschränken – aber wir werden gestärkt aus der Krise hervorgehen.“

Ein großes Lob richtet Müller an jene, die derzeit den Betrieb aufrechterhalten – etwa Polizisten, die Müllabfuhr, Kita-Personal und die zum Durchhaltesymbol werdenden Supermarkt-Kassiererinnen. Von „stillen Heldinnen und Helden dieser Tage“ spricht Müller und stellt ihnen einen Bonus in Aussicht. Bezahlen will er das aus der schon vor Corona beschlossenen „Berlin-Zulage“ von monatlich 150 Euro für die Landesbediensteten. Die will Müller nun neu aufteilen.

Es ist ein Durchhalte-Appell, aber ohne Blut, Schweiß und Tränen aus der berühmten Churchill-Rede 1940 angesichts der Bedrohung durch die Nazis. Müller versucht es anders, will die Durchhaltekraft durch die Freude auf das stärken, was nach diesem großen Akt der Solidarität mit Älteren und Schwächeren wieder möglich ist. „Liebende werden wieder Hand in Hand spazieren“, man werde wieder im Tiergarten Volleyball spielen. Was er mit Churchill gemein hat: wann das so weit ist und die Bedrohung vorbei, kann auch er nicht sagen.

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