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Pankower Se­nio­r*in­nen-WiderstandEin Ort gegen die Einsamkeit

Eine Begegnungsstätte in Pankow wurde 2012 von Se­nio­r*in­nen besetzt, um den Fortbestand zu sichern. Jetzt ist sie wieder von Schließung bedroht.

Die Vereinsmitglieder der Stillen Straße 10 kämpfen um ihren Fortbestand Foto: Miriam Klingl

Von

Anselm Mathieu aus Berlin

taz | Sie erinnert sich gerne zurück an die Besetzung, während sie in der Küche steht und Kamillentee kocht. „Oma macht jetzt Occupy, hat die taz damals geschrieben“, erzählt Eveline Lämmer amüsiert. Das Medienecho sei riesig gewesen, als die Se­nio­r*in­nen aus Pankow damals kurzerhand beschlossen, ihren Begegnungsort zu besetzen.

Vor der alten, braunen Villa in einer ruhigen Wohngegend sind einige Banner aufgespannt, die schon vermuten lassen, dass es sich hier um keinen gewöhnlichen Se­nio­r*in­nen­treff handelt. „Für Solidarität ist's nie zu spät“ ist da zu lesen, „Stille 10 wird laut“ und „Das ist unser Haus“.

Im großzügigen Garten hinter dem Haus finden sich nach und nach Menschen ein. Vor allem ältere Menschen treffen sich hier, aber auch einige junge Ak­ti­vis­t*in­nen haben sich an diesem kalten, aber sonnigen Samstagnachmittag auf den Weg gemacht, um sich mit der Stillen Straße 10 in Pankow solidarisch zu zeigen. Die Se­nio­r*in­nen­treff wollen an diesem Tag auf ihre Lage aufmerksam machen und zu Spenden aufrufen. Die Leute essen Bratwürste und Kuchen, trinken Glühwein und Kaffee und warten auf die erste Rednerin.

Rebellische Vergangenheit

Das alte Gebäude dient schon lange als Treffpunkt und Veranstaltungsort für Senior*innen. Hier treffen sich jeden Tag Menschen für Sportkurse, Fremdsprachunterricht, Mal- und Chorgruppen. Als das Bezirksamt Pankow im Jahr 2012 mit Schließung drohte, entschieden die Rentner*innen, sich zu widersetzen. Entschlossen, aber in Besetzungen unerfahren, zogen damals sechs Rent­ne­r*in­nen mit Matratzen und Schlafsäcken ins Haus ein.

Gute Laune beim Aktionstag Foto: Miriam Klingl

Das Interesse an den aufständischen Alten war groß: Medien aus aller Welt kamen zur Stillen Straße 10, um von der Besetzung zu berichten, Nach­ba­r*in­nen halfen mit Reparaturen und Verpflegung aus, junge Ak­ti­vis­t*in­nen waren beeindruckt und halfen, Demonstrationen zu organisieren. Auf einmal kamen die Se­nio­r*in­nen also, anfangs noch mit Berührungsängsten, in Kontakt mit jungen Leuten aus Kreuzberg – „alle in Schwarz gekleidet, mit Piercings im Gesicht und überall Tätowierungen“, wie in dem Buch „Die unbeugsamen Alten der Stillen Straße 10“ nachzulesen ist.

Wenn sie geräumt werden sollten, rufen Sie mich vorher an

Gregor Gysi

Darin wird beschrieben, dass selbst prominente Po­li­ti­ke­r*in­nen wie Gregor Gysi und Hans-Christian Ströbele vorbeikamen, um sich einen Eindruck zu verschaffen. „Wenn sie geräumt werden sollten, rufen Sie mich vorher an“, soll Gysi wohl gesagt und den Be­set­ze­r*in­nen seine Unterstützung zugesichert haben. Am Ende verbrachten die Be­set­ze­r*in­nen 112 Nächte in der Villa. Eveline Lämmer, die damals nicht mit besetzt, aber aktiv unterstützt hat, erzählt heute noch gerührt von der Solidarität, die sie damals erfahren haben.

Erneute Sorgen

Nachdem die Se­nio­r*in­nen sich den Fortbestand des Hauses 2012 schon einmal erkämpfen mussten, droht nun wieder die Schließung. Bisher duldete das Bezirksamt Pankow die Weiterführung der Begegnungsstätte unter der Bedingung, dass es selbst keine finanzielle Hilfe leisten müsse. Das übernahm bis jetzt der Wohlfahrtsverband Volkssolidarität Berlin, doch auch der kann dafür nicht mehr aufkommen. Wenn sich also nicht genügend finanzielle Mittel finden sollten, könnte das Projekt bald scheitern. Der Nutzungsvertrag läuft zum Ende des Jahres aus.

Nachdem sich inzwischen dutzende Menschen im Garten zusammengefunden haben, geht Eveline Lämmer nach vorne und begrüßt Mitglieder und Unterstützer*innen. „Wir wollen nicht wie so viele andere Begegnungsstätten dem aktuellen Sparhaushalt zum Opfer fallen“, sagt sie. Sie ist aber zuversichtlich, dass sie ihren Treff weiter erhalten können: „Die Kraft dafür haben wir, wir sind unerbittlich.“

Sie erzählt stolz von den Strukturen ihres Vereins. Alle im Vorstand seien gleichberechtigt, es gebe keine Hierarchien. Der Verein sei bereit, den Ort ab Januar selbst zu verwalten. Es klingt so, als gebe es für sie auch gar keine andere Option: So wie man Essen und Schlaf brauche, „brauchen wir auch Orte, um uns zu begegnen“, sagt Eveline Lämmer.

Nach ihr kommt Dominique Krössin zu Wort, Bezirksstadträtin für Soziales von den Linken. Sie will ihre Unterstützung ausdrücken, ist aber auch vorsichtig: Sie wolle keine so „feurigen Reden schwingen“ wie ihre Vorrednerin. Das Haus habe eben erheblichen Sanierungsbedarf und auch die Betriebskosten müssten langfristig sichergestellt werden.

Solidarität von Un­ter­stüt­ze­r*in­nen

Falls es wieder dazu kommen sollte, besetze ich mit

Elke Breitenbach, Linksfraktion

Elke Breitenbach, die für die Linken im Abgeordnetenhaus sitzt, ist weniger zurückhaltend. Sie findet es „erbärmlich, dass wir jetzt wieder hier stehen“. Immer wieder wären die Se­nio­r*in­nen mit befristeten Verträgen vertröstet worden. Sie überreicht dem Verein eine 2.000-Euro-Spende von der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus und verspricht: „Falls es wieder dazu kommen sollte, besetze ich mit.“

Im Laufe des Nachmittags tritt dann noch der Sänger Frank Viehweg auf, der mit der Gitarre Stücke im Stil alter linker Liedermacher spielt. Auch einige andere, alte wie junge Un­ter­stüt­ze­r*in­nen und Mitglieder des Vereins kommen noch vor ans Mikrophon, um von ihren Erfahrungen mit der Begegnungsstätte zu erzählen und den Rent­ne­r*in­nen Mut zu machen.

Sie sind sich einig: Dem Sparkurs der Politik muss klar entgegengetreten werden. Es wäre ein Zeichen fehlender Wertschätzung gegenüber den Alten in unserer Gesellschaft, dass kein Geld für Orte wie diesen in die Hand genommen wird.

Die Einsamkeit in unserer Gesellschaft nehme spürbar zu, und die Stille Straße 10 sei eine „Waffe gegen die Einsamkeit“, sagt eine Rednerin und zeigt auf das Gebäude. Rent­ne­r*in­nen „sind keine Randgruppe, die man einfach so verdrängen kann“, man müsse ihnen „wirkliche Anerkennung und Liebe zeigen“, so die Unterstützerin.

Zwei junge Aktivist*innen, die aus Weißensee gekommen sind, berichten der versammelten Menge von der Besetzung des Bierpinsels in Steglitz, die am Morgen dieses Tages stattgefunden hat. Eveline übermittelt den Ak­ti­vis­t*in­nen daraufhin solidarische Grüße von den „ältesten Besetzern der Welt“.

Erneute Besetzung nicht ausgeschlossen

Während es langsam dunkel wird und das Lagerfeuer beginnt, beschreibt Stephan Quitta im Gespräch mit der taz die Probleme noch etwas genauer. Als Vorstandsmitglied des Vereins hat er seit langem die Verhandlungen zwischen ihnen und dem Bezirksamt miterlebt. Eines scheint klar: Vom Bezirk Pankow könne man wohl weiterhin keine finanzielle Hilfe erwarten. Durch die Spenden könne man sich wohl noch ein Jahr über Wasser halten, aber langfristig könne es so nicht funktionieren.

Eveline Lämmer sagt zur taz, der Bezirk wolle keinen unbefristeten Nutzungsvertrag eingehen, solange die Fördergelder nicht langfristig gesichert sind. Gerade den unbefristeten Vertrag bräuchten sie aber erstmal, um bei Stiftungen und Verbänden Fördermittel zu beantragen und Veranstaltungen planen zu können.

Bei allen Schwierigkeiten ist an diesem Samstag dennoch spürbar, wie wichtig diese Begegnungsstätte den Se­nio­r*in­nen ist. Es gibt hier einige, die zur Not auch bereit wären, das Haus wieder zu besetzen: „Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt“, zitiert eine der Un­ter­stüt­ze­r*in­nen aus der Außerparlamentarischen Opposition.

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