Interview mit einer Senioren-Besetzerin: "Die hielten uns für senil"

Doris Syrbe hat mit sieben älteren Menschen eine Seniorenfreizeitstätte in Pankow besetzt. Die 72-jährige hat keine Angst vor einer Anzeige, schläft aber trotzdem schlecht.

"Das wichtigste ist, zusammen zu bleiben – hier oder woanders": Besetzerin Doris Syrbe. Bild: dapd

taz: Frau Syrbe, zusammen mit weiteren Senioren haben Sie vor gut einer Woche Ihre Freizeitstätte in der Stillen Straße besetzt. Wie viele Leute halten in der Villa nachts die Stellung?

Doris Syrbe: Im Moment wohnen sieben Leute hier – sechs Frauen und ein Mann, das eine ist ein Ehepaar. Von den rund 300 SeniorInnen, die die Begegnungsstätte wöchentlich nutzen, sind wir Besetzer die Jüngsten.

Sie selbst sind 72 Jahre alt. Sind die Besetzer auch sonst eine feste Gruppe in der Begegnungsstätte?

Ja. Wir haben 29 Gruppen, die sich hier betätigen. Die Altersspanne der Teilnehmer reicht von 65 bis 96. Unsere Gruppe kennt sich seit der Wende, damals waren wir Mitte 50. Bedingt durch die Wende waren wir alle arbeitslos oder in den Vorruhestand geschickt worden und drohten in ein tiefes Loch zu fallen. Durch Gespräche und gemeinsame Aktivitäten haben wir uns gegenseitig aufgefangen. Wir waren mal 24 Leute. Durch Tod und Wegzug sind wir jetzt nur noch 18. Da wir hier die Jüngsten sind, sind wir auch im Vorstand der Begegnungsstätte sehr aktiv. Wir verstehen uns aber ausdrücklich als „Wir“. Insofern ist unser Ziel auch, dass alle Gruppen unter einem Dach zusammenbleiben können. Wir sind ein „Wir“ und darum kämpfen wir.

Wie wichtig ist es Ihnen, in der Stille Straße 10 zu bleiben?

Wir würden liebend gern hierbleiben, das ist ein schönes altes Haus mit einem wunderbaren Garten. Aber wir haben immer gesagt, wir gehen auch gerne in ein anderes Objekt. Das wichtigste ist, zusammen zu bleiben – hier oder woanders.

Seit wann kämpfen Sie für Ihren Freizeittreff?

Wir kämpfen seit Anfang März. Da hat uns der Bezirk auf einer Mitgliederversammlung verkündet, dass das Haus geschlossen wird. Danach waren wir auf fast allen Bezirksverordnetenversammlungen und Ausschusssitzungen, sogar an der Demonstration gegen die Schließung von Kultureinrichtungen in Pankow haben wir teilgenommen. Kulturschaffende vom Pankower Ratschlag hatten die Demonstration organisiert, relativ junge Leute. Die haben uns Mut gemacht und gesagt: Ihr macht das richtig. Man darf sich nicht alles gefallen lassen.

Hat sich der Bezirk mit Ihnen, den SeniorInnen, verkalkuliert?

Wenngleich auch nicht sehr laut, haben wir doch immer gesagt: Wenn alle Stricke reißen, besetzen wir das Haus. Das haben sie uns scheinbar nicht geglaubt und waren dann mächtig überrascht, dass die Alten das machen. Wir hatten den Eindruck, das man uns schon ein bisschen für senil hielt. Wir sind zwar schon älter – aber die Omas von vor 30 Jahren, die auf der Ofenbank sitzen und Socken für die Enkel stricken, sind wir nicht. Eigentlich stehen wir noch mitten im Leben. Und die Solidarität, die wir in ganz Deutschland erfahren haben, gibt uns Recht. Vielleicht machen andere Senioren das nach.

Wie kommen Sie zu dieser Annahme?

Am Freitag bekam ich einen Anruf aus Tarentin, das ist irgendwo im Norden. Die Senioren dort haben ähnliche Probleme. Die wollen Erfahrungen sammeln, wie man das macht, und uns treffen. Sie sehen, dass wir hier nicht allein gelassen werden. Tagsüber haben wir manchmal 50, 60 Leute hier, nicht nur Reporter. Nachbarn und wildfremde Leute bringen uns Präsente und Lebensmittel. Damit können wir ein paar Tage aushalten. Wir hatten auch schon Leute vom Kotti da, die mehr Erfahrung mit Besetzungen haben. Gerade auch von junge Leuten werden wir reichlich unterstützt – was wir gar nicht erwartet haben. Bisher haben wir immer alle über einen Kamm geschoren und gesagt: Diese Jugendlichen sind nicht zu gebrauchen.

Was sagen Sie jetzt?

Dass man da auf keinen Fall verallgemeinern sollte. Gerade von Schülern kommt viel Unterstützung. Am Freitag war eine Gruppe 16-,17-Jähriger hier. Wunderbare Mädels und Jungs. Die haben gesagt: Wenn ihr Hilfe braucht, kommen wir. Wir haben verabredet, dass sie in guten Zeiten den Garten machen.

Sie sind seit eineinhalb Jahren ehrenamtliche Vorsitzende der Seniorenbegegnungsstätte. Was haben Sie früher gemacht?

72, wurde in Brandenburg an der Havel geboren. Seit 1971 lebt sie in Pankow. Die studierte Ingenieursökonomin ist Vorsitzende des Seniorenclubs Stille Straße 10 in Pankow

Eigentlich bin ich Imkerin. Im zweiten Beruf habe ich Sekretärin gelernt. Auf Betreiben meines Mannes habe ich ein Fernstudium in Leipzig zur Ingenieursökonomin gemacht. Danach habe ich 40 Jahre in der Materialwirtschaft im Fernmeldewesen, im Rundfunk und bei der Post gearbeitet. Nach der Wende habe ich noch den Aufbau Ost mitgemacht. Als wir damit fertig waren, hat man gesagt: Danke, jetzt können Sie nach Hause gehen. Ich gehöre aber zu den wenigen Privilegierten, die mit einem vollen Gehalt in den Vorruhestand geschickt worden sind.

Waren Sie schon vor der Besetzung politisch aktiv?

Eigentlich bin ich kein politischer Mensch. Das ist einfach aus der Situation heraus passiert. Ich bin überhaupt noch nie auf die Straße gegangen. Da wir ja Kinder der DDR sind, haben wir am 1. Mai demonstriert. Aber das waren andere Demonstrationen.

Wie lange können Sie die Besetzung durchhalten?

Das kann ich Ihnen nicht sagen. Wir haben das ja noch nie gemacht. Die Bibliothek in Pankow ist nach drei Wochen Besetzung gerettet worden.

Glauben Sie, dass die Besetzung eines Seniorentreffpunkts auch im Westteil der Stadt – etwa in Zehlendorf – möglich wäre?

Ich denke, dass das Schule macht, auch bei älteren Bürgern. Wir können uns nicht immer alles gefallen lassen.

Hat Sie die Besetzung radikalisiert?

Nein. Die Medien haben uns ja viele Etiketten angehängt. Wir sind keine Wut-Rentner, wie der Kurier schreibt, und Rebellen sind wir auch nicht. Na ja, im weitesten Sinne des Wortes sind wir vielleicht Rebellen. Aber wenn wir Erfolg haben, gehen wir ins zweite Glied zurück.

Gilt das auch für Sie?

Auch ich werde dann wie früher einfach nur Clubvorsitzende sein und mich dafür einsetzen, dass Menschen in Würde alt werden können. Wir werden ja einfach zur Seite geschoben. Ich bin kein Mensch, der groß in Erscheinung treten muss. Ich möchte wieder genauso eine graue Maus sein wie jeder andere auch.

Sind Sie froh, wenn alles vorbei ist?

Durchaus. Die Nerven liegen ja teilweise ganz schön blank.

Wie sind die Nächte – können Sie gut schlafen?

Man schläft schon sehr unruhig. Zum Glück hat jeder einen Raum für sich. Bis auf das Ehepaar sind wir alle schon lange alleinstehend und nicht gewohnt, mit jemandem das Zimmer zu teilen. Dazu kommt, dass es in der alten Villa nachts ständig knackt. Da wir Angst haben, dass doch mal die Polizei vor der Tür steht, guckt man natürlich raus, ob da nicht jemand vorgefahren ist. Das ist schon aufregend.

Rechnen Sie ernsthaft mit einem Polizeieinsatz?

Eigentlich nicht. Wir haben die Information, dass der Bezirk keine Polizei schicken will. Aber am Freitag war die Sozialstadträtin hier. Sie wollte uns überreden, aufzugeben. Sie hat uns nochmal erklärt, was uns rechtlich erwarten könnte, wenn die Polizei kommt.

Hat Sie das beeindruckt?

Wenn ich vor einer Strafanzeige Angst hätte, hätte ich diesen Einsatz hier nicht gemacht.

Gibt es Signale, dass der Bezirk einlenken wird?

Bisher nicht. Die Stadträtin hat gesagt, dass sie das Haus in den Liegenschaftsfonds zurückführen muss. Das Haus ist sanierungsbedürftig, und die 2,5 Millionen Euro dafür hat sie nicht. Der Bezirk sei auch nicht in der Lage, die laufenden Kosten für den Unterhalt der Begegnungsstätte aufzubringen, hat es geheißen. Dabei sind die 52.000 Euro eigentlich ein Klacks für so eine Stadt. Der Bezirk will unsere Gruppen auf verschiedene Einrichtungen verteilen – auf Kitas, Schulen und Sporthallen. Wir gehen davon aus, dass unsere alten Leute dann wohl eher zu Hause bleiben würden.

So richtig mit Sack und Pack eingezogen sind Sie bisher aber nicht.

Ich habe meine Bettdecke und ein Kopfkissen dabei. Ein lieber Mensch hat mir eine Auflage für die Campingliege mitgebracht, die ist doch ganz schön hart. Morgens tut der Rücken weh. Wir müssen uns hier sogar kalt waschen. Aber wir gehen auch mal zum Duschen nach Hause.

Was ist das Wichtigste, das Sie aus dieser Zeit mitnehmen?

Ich nehme vor allen Dingen dieses Miteinander von Jung und Alt mit. Wir haben entschieden: Wenn wir hier fertig sind und in den Besitz von entsprechenden Informationen kommen, werden wir uns auch mit anderen solidarisch zeigen. Wir wissen ja jetzt, was man braucht. Diese Solidarität, die uns entgegengebracht worden ist, müssen wir einfach zurückgeben. Und das ist für uns auch neu, dass wir sagen: Wir müssen über unseren Tellerrand gucken. Bisher haben wir im eigenen Saft geschmort.

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