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Panik und Circenses

Punk setzte die große Verweigerung gegen die Regeln. Manche gingen ihren Weg, andere kaputt: Ein Quellen- und Grundlagenwerk widmet sich der unruhevollen Jugend in der späten DDR. Du kannst auch dicker Band zum langen Abschied dazu sagen  ■   Von Anke Westphal

Wie Ästhetik aus nicht staatlich kontrolliertem Anbau im Treibhaus DDR zur Schuld werden konnte

Natürlich bedeutete der Song-Text sein Gegenteil. „Wir wollen immer artig sein / denn nur so hat man uns ge-he-rne“, johlten Feeling B in großartiger Saufparty-Pose, und alles freute sich, wenn am Ende ihr breites „Hea-hoa“ erscholl. Die Band um Aljoscha Rompe verarschte das oberste der vielen für die DDR-Jugend geltenden Gebote voller Herzlichkeit: Verhalte dich wohl, du Nachhut, dann werden Vater Staat und Mutter Partei dich in Maßen belohnen.

Der Song aus den Mittachtzigern war die Hymne einer dritten (und letzten) DDR-Generation, die nicht länger mit Plattenbauwohnungen und günstigen Ehekrediten ruhig gestellt werden wollte – was lustige, aber auch gefährliche Seiten hatte. Man kann es ganz primitiv erklären: Im Westberlin der Endsiebziger- und Achtzigerjahre wurden die Punks von Touristen fotografiert, in Ostberlin von der Staatssicherheit. In Westberlin gingen sie in ihre besetzten Häuser, in Ostberlin in den Knast. Punk setzte die große Verweigerung gegen die Regeln. Mutter Partei und Vater Staat fanden das schrecklich undankbar.

Fünfzehn, zwanzig Jahre sind seither vergangen. DDR-Geschichte wird zu einem Großteil von denen ventiliert, die sie nicht aus eigener Anschauung kennen. Das brachte einige Vorteile (der fremde Blick), noch größere Nachteile (der kalte Blick) und die Ahnung, dass sich Gegenwart immer dann besonders eifrig an der Erklärung fremder Vergangenheit versucht, wenn sie sich ihrer selbst und der Zukunft nicht sicher ist. Inzwischen gibt es etliche Bücher darüber, wie Ästhetik aus nicht staatlich kontrolliertem Anbau im Treibhaus DDR zur „Schuld“ werden konnte und wie die Politik mit Strafe auf diese „Schuld“ reagierte.

Das mit Abstand beste Buch zum Thema heißt wie der Feeling-B-Song „Wir wollen immer artig sein“, Untertitel: „Punk, New Wave, HipHop und Independent-Szene in der DDR von 1980 bis 1990“. Die Herausgeber des Quellen- und Grundlagenbandes, der 1957 geborene Musikjournalist Ronald Galenza und der Kunsthistoriker Heinz Havemeister, Jahrgang 1958, gehörten damals selbst zu den Unartigen. Die Arbeit am „Artig“-Buch erwies sich als eher verarbeitende denn aufarbeitende Erinnerung an die Vergangenheit und klärte bei den Herausgebern und Autoren „Schatten der Vergangenheit“ (Havemeister). Sie bot, so Galenza, die Möglichkeit, „das eigene Tun mit Abstand zu bewerten“. Insofern stellt „Wir wollen immer artig sein“ bei allem Umfang noch einen relativ konzentrierten kurzen Brief zum langen Abschied von diesem Teil DDR-Geschichte dar.

Was „Artig“ zum aussagefähigsten Buch über das Szene-Dilemma der Honecker-Republik macht, ist die Verbindung von Kompetenz, Ehrlichkeit und persönlicher Verantwortung – sowohl der eigenen Vergangenheit als auch den stumm gebliebenen Szeneangehörigen gegenüber. Basis dieser gelungenen Spurensicherung Ost war (durch langjährige Kontakte vorbereitet) das unbedingte moralische Vertrauen der einstigen Aktivisten in die Herausgeber. Ergebnis ist einerseits „Geschichte von unten“, andererseits eine deutliche Antiverklärung der DDR.

Der Anspruch der Autoren war eindeutig: Einfühlung ja, Mythologisierung nein. Wer ohne Distanz die eigene Legendenbildung betrieb, wie Sascha Anderson, flog raus. „Artig“ rastert das Netz des DDR-Underground chronologisch, ästhetisch, regional und politisch: Anfang und Ende, Kirche und Keller, Berlin und Weimar, Kunst und Nonsens, Pogo und Performance. Der Crossover – er war eine Erfindung der DDR.

Was der Westen nicht glauben mag, in diesem Buch wird es anschaulich. DDR & Szene war janusköpfig: einerseits grau & Regen, andererseits bunt & „Fete“. Die Szene erschien zwischen Suff und Kunst gleichermaßen banal und bedeutsam. „Man fühlte sich wichtig“ (Havemeister), weil der Staat einen so schrecklich wichtig nahm. Nicht ohne Absicht ist eins der Buchkapitel mit „Panem et circenses“, Brot und Spiele, überschrieben. „In Wahrheit“, so Christoph Tannert, „ gab's neben den Veitstänzen in der Isolierstation oft nicht mehr als kalten Fußschweiß in Jesuslatschen.“

Obwohl oder weil sie Ideologie durch Ästhetik ersetzten, rutschten die Akteure der Subszenen mit ihren Off-Verteilern, Musik-Tapes, Wohnzimmergalerien und privaten Lesungen schnell vom Naiven über das Kulturelle ins Politische. Schön (und existenzbedingend) war, so Havemeister, „dass die Szene entstand und sich wieder auflöste“. Die Idee, ihre Spuren als Zeugen einer besonderen Protestkultur für die Zukunft zu sichern, geht auf DDR-Samisdat-Zeiten zurück und auf Heinz Havemeisters Arbeit bei der Untergrund-Zeitschrift Liane. Christoph Tannert bezeichnet die Subkultur an einer Stelle als „eine das gesellschaftlich Unbewusste allzeit verkörpernde Wunschmaschine mit politisch höchst widersprüchlicher Ausprägung“.

Konsequenterweise lassen die Herausgeber die Wunschmaschinen-Geschichte ausschließlich von jenen schreiben, die selbst an und in ihr bastelten. Band-Mitglieder, Punks der frühen Jahre, Künstler, Radiomoderatoren, Kritiker der Underground-Presse und Fotografen sortieren Prügel und Spaß, Eitelkeiten und notwendige Selbsterfindung. Kein Dr. Ethnologe auf Ost-Safari durfte diesen oft auch tragischen Teil von DDR-Lebensgeschichten analytisch überformen. Das Bemühen seitens der Autoren und Herausgeber ging ganz klar dahin, eine lebendige, teuer bezahlte DDR-Gegenkultur nicht zum Kunstgeschichtspudding erstarren zu lassen. Interessanterweise gestand der Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf als einziger Verlag in ganz Deutschland in diesem Punkt die totale inhaltliche Entscheidungsmacht zu.

Die Kompromisslosigkeit hatte ihren Preis – zehn Jahre. Als Autorenhonorare gab es ein Dankeschön. Zum notwendigen Luxus dieser Art der Geschichtsschreibung gehört dagegen, dass ein und dieselbe Begebenheit (wie der 87er Überfall von Stasi-geförderten Skinheads auf Punks in der Zionskirche) mehrmals, aus verschiedenen Perspektiven, erzählt wird. Nur viele Kontexte können ein annähernd wahres Bild ergeben. Der „IM“ und FDJ-Organisator von Konzerten, der Szeneband-Betreuer, der inhaftierte Punk – alle kommen sie zu Wort.

Dem Willen zur Komplexität entsprechend koexistieren im Buch unterschiedliche Textsorten: autobiografische Fragmente, poetische Texte, Band- und Künstlerporträts, Interviews, Kritiken, auch ein paar Grundsatztexte, kommentiert von tot geglaubten Fotos und Dokumenten. Im Erinnern an die gemeinsame Vergangenheit werden die Turbulenzen der Jahre nach dem Mauerfall sichtbar. Manchmal scheint eine latente Erwartung durch, die Stasi-IMs innerhalb der eigenen Reihen sollten Buße tun, noch öfter die Verunsicherung über den Umgang mit den Verrätern.

Da die Szene durch ihre Rebellion gegen das „sozialistische Menschenbild“ und die Ablehnung staatlicher Kontrolle eine so ungeheure Beunruhigung darstellte, war die Stasi omnipräsent. Fast jede Band hatte ihren IM; wo staatliche Gewalt nichts ausrichtete, wurde mit FDJ-Förderung umarmt. Weil nahezu jede Geschichte dieses Buches auch eine Geschichte von Überwachung und Repression erzählt, liefert sie das exakte Gegenteil dieser Repressionshistorie mit: Punk, Independent, Underground in der DDR zeugen vom schwierigen Gelingen einer Protestkultur östlich der Elbe.

Die Fronten schienen zunächst linear zu verlaufen. Hier sauberer sozialistischer Beat, im Buch einmal nicht unwitzig „Beischlafmusik“ genannt, da die staatlich nicht geförderte Musik der schwarz-bunten, unruhigen Jugend. „Lied von der unruhevollen Jugend“ – so hieß auch ein Feeling-B-Titel. Im Laufe der Zeit franste die Linie, auch bei den Unartigen, aus. Die Bürgerrechtler, die sich in der ideologischen Negation immer noch auf den DDR-Staat bezogen, waren enttäuscht von den Punks, die der „Staat“ nicht mehr interessierte. Pogo-Punks verachteten dissidente Liedermacher als Weicheier; die Jazz-Szene war wieder ein ganz anderes weites Feld. Doch ob im Punk-Milieu oder unter Intellektuellen, immer ging es darum, sich mit der Suche nach einem „radikalen Individualismus“ gegen die Nötigung zum Kollektiv abzugrenzen. Stilbewusstsein statt Klassenbewusstsein.

Was fängt man an mit so einer Vergangenheit, hat man sie (was nicht selbstverständlich ist) überlebt. Es gab zwischen 1979 und 1989 etliche Suizide und Einweisungen in die geschlossenen Abteilungen der Psychiatrie. Der Gründer einer berühmten Band der frühen Jahre hat vor nicht allzu langer Zeit seinen Vater „mit dem Beil zerlegt“. Dann gibt es Leute wie Aljoscha Rompe, die sich mit natürlicher Lebhaftigkeit und Freude an ihr buntes Wirken während der letzten Dekade der DDR erinnern. Ihre Devise lautet: „Sicher gibt es bessere Zeiten, doch diese war die unsere.“

Schwieriger gestaltet sich die Ankunft im Alltag für einst öffentlichkeitsverwöhnte Leute wie André Herzberg, Sänger von Pankow. Der hellwach verträumte Key Pankonin, einst bei die Ich-Funktion und Texter der Firma, hat eine neue Band. Die Lippok-Brüder („Ornament & Verbrechen“, „Aufruhr zur Liebe“) touren international mit neuem Projekt To Rococo Rot und verkaufen Platten in Japan und den USA. Michael Horschig, Autor eines herzflatternden Punk-Textes, lebt als Wildhüter in Kanada. Bernd-Michael Lade, früher bei Planlos, ist durch „Tatort“ ein bekannter Schauspieler.

Niemand bleibt ewig „Straßenköter“. Aljoscha Rompe, der inzwischen um die 50 Jahre alt sein muss, hat die Rechte am Namen Feeling B von seinen alten Mitkämpen Flake und Landers (die jetzt mit Rammstein erfolgreich sind) zurückgekauft, Feeling B neu belebt und ein Label gegründet. Der Staat ist ihnen – Gurkensalat. „Wir wollen immer artig sein. Punk, New Wave, HipHop, Independent-Szene in der DDR 1980–1990“. Herausgeber Ronald Galenza und Heinz Havemeister, Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf, 416 S., Klappbroschur; 39,80 DM

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