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Pandemie eskaliert in IndienZu wenig, zu spät

Natalie Mayroth
Kommentar von Natalie Mayroth

Die Regierung in Indien hat zu spät gegen das Coronavirus gehandelt. Nun sind die Warnungen wahr geworden: Die Pandemie ist außer Kontrolle.

Hunderttausende neue Coronainfizierte jeden Tag: Schnelltest in Kaschmir am 21. April Foto: Dar Yasin/ap

S eit Wochen sind die Intensivstationen der indischen Metropolen wieder chronisch überlastet. Dennoch dauerte es, bis der indische Premierminister Narendra Modi vom Wahlkampfmodus in den Krisenmodus umgeschaltet hat – viel zu spät. Als Modi warnte, dass das Wiederaufflammen des Coronavirus Indien wie ein Sturm treffe, hatten die Neuinfektionen bereit 250.000 Menschen am Tag überschritten, nun haben sie die Marke von 315.000 erreicht.

In Metropolen wie Mumbai wurden Anfang des Jahres Corona-Feldkrankenhäuser wieder abgebaut. Kaum jemand rechnete damit, dass sie drei Monate später wieder gebraucht würden. Ähnlich sieht es bei der Produktion des wichtigen Medikaments Remdesivir für die Behandlung aus. Der Staat legte keinen großen Vorrat an. Die Impfstoffproduktion in Indien lief an, wurde aber erst jüngst intensiviert. Auch die religiöse Massenversammlung Kumbh Mela wurde zwei Wochen lang nicht gestoppt.

Erst in dieser Woche wurde der Ernst der Lage von der Zentralregierung erkannt, die unter anderem ankündigte, die Altersbeschränkung für das Impfen aufzuheben und den Impfstoffmarkt für weitere Vakzine zu öffnen. Wegen der vertanen Zeit traf die neue Coronawelle Indien mit einer noch nie da gewesenen Wucht. Heute sind die Horrorwarnungen von vor einem Jahr bedauerlicherweise wahr geworden: Menschen sterben auf den Straßen, weil sie nicht mehr ins Krankenhaus eingeliefert werden können. Die in Indien gefundene Doppelmutante B.1.617 – sehr viel ansteckender – verbreitet sich rasant.

Selbst der Sauerstoff ist knapp geworden, obwohl Indien zu den größten Herstellern weltweit zählt. Das Gesundheitssystem steht vor dem Zusammenbruch. Dabei kann diese Welle niemanden überrascht haben. Sie traf Indien, genau wie beim ersten Mal, mit einer zeitlichen Verzögerung.



Die Bür­ge­r:in­nen verlieren den Glauben an das System. Mütter, Väter, Töchter und Söhne sterben weiter. Indien zahlt einen hohen Preis für seine Versäumnisse, die kaum wiedergutzumachen sind.

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Natalie Mayroth
Reporterin
Natalie Mayroth schreibt seit 2015 für die taz. Seit 2017 berichtet sie aus Indien und Südasien. Sie kam damals mit einem JournalistInnen-Stipendium nach Indien. In München absolvierte sie 2014 ihren Magister in Europäischer Ethnologie, Soziologie und Iranistik. Natalie Mayroth ist deutsch-iranischer Herkunft.
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3 Kommentare

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  • Es ist doch recht amüsant wie gut die Pandemie die Kompetenz von Konservativen und neoliberalen aufzeigt, auch denen die es lange nicht wahrhaben wollten: Nicht Existent.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Selbst der Sauerstoff ist knapp geworden...

    Hier könnte Europa bzw. Deutschland doch konkret helfen.



    Wir haben Linde und Air Liquide! Jetzt, sofort!

    Wenn ich Modi sehe, wie er beschwört, nicht die Wirtschaft dicht zu machen, kommt mir das Kotzen.

    • Natalie Mayroth , des Artikels, Reporterin
      @17900 (Profil gelöscht):

      Tatsächlich hilft Deutschland/Linde jetzt wie die deutsche Botschaft in Delhi und indische Medien berichten. Ein weiteres großes Problem ist die Logistik, denn eigentlich produziert Indien sehr viel Sauerstoff, er wurde nun teilweise von der Industrie abgezweigt, doch diese Prozesse dauern. twitter.com/German...385496934362750977