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PalästinaEmpfang in den Farben der Fatah

Um Palästinenserpräsident Abbas den Rücken zu stärken, lässt Israel 256 palästinensische Gefangene frei - darunter keine Hamas-Kämpfer.

Die Verwandtschaft freut sich über die Wiederkehr der Gefangenen Bild: ap

RAMALLAH taz "Tod den Terroristen", fordert eine Handvoll überwiegend minderjähriger Demonstranten, die am Kontrollpunkt Betunijah gegen die Amnestie von 256 palästinensischen Häftlingen protestieren. Soldaten halten die jungen Israelis, die T-Shirts mit dem Bild des extremistischen Rabbiners Meir Kahane tragen, in sicherem Abstand von dem Parkplatz, wo die frisch entlassenen Häftlinge in palästinensische Busse umsteigen. Müde, verschwitzt und glücklich treten die 250 Männer und sechs Frauen in Betunijah die letzte Etappe des Heimwegs an. Ihre Familien warten vor der Mukata, dem Amtssitz der Präsidenten in Ramallah.

Mutassar Nassan weiß, was in den Köpfen der Exhäftlinge vorgeht. Vor zwei Jahren gehörte der Fatah-Aktivist selbst zu denen, die vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wurden. "Heute sind drei meiner Cousins dabei", ruft der 25-Jährige glücklich, "aber zehn andere aus unserer Familie sind noch im Gefängnis." Die jungen Palästinenser waren im Dezember 2000 verhaftet worden, nachdem sie mit Pistolen israelische Soldaten angegriffen hatten. Dass dabei niemand ernstlich verletzt wurde, machte die um ein paar Jahre vorgezogene Entlassung möglich. "Niemand mit Blut an den Händen", ist für Israels Regierung die Bedingung zur Freilassung. Dass die Amnestie nur Mitglieder der Fatah und einige wenige der kommunistischen Bewegungen betrifft, findet Mutassar völlig in Ordnung. "Die Fatah ist die Mutter des gesamten Volkes", sagt er und bedauert nur, dass nicht alle Fatah-Aktivisten entlassen wurden. Die Hamas hingegen habe ihn und seine Vetter verraten. "Sie sind Handlanger von Iran und Syrien", schimpft er, doch schon bald werde die Fatah im Gazastreifen wieder Ordnung schaffen.

Die Amnestie gehört zu einer Reihe von Gesten, mit denen Israels Premierminister Ehud Olmert Palästinenserpräsident Machmud Abbas (Fatah) gegenüber der Hamas den Rücken stärken will. So bleibt der Empfang vor der Mukata von den schwarz-weißen Tüchern, Mützen und Stirnbänder der Fatah bestimmt.

Muhammad Jassin schüttelt den Kopf. "Das ist kein guter Schritt", sagt der pensionierte Verwaltungsbeamte. "Die Israelis müssen bedingungslos alle unsere Häftlinge freilassen, auch die der Hamas." Jassin wartet auf seinen Neffen, einen 31-jährigen Familienvater, der drei Jahre im Gefängnis saß und zwei Brüder dort zurücklässt. Erst wenn alle Häftlinge auf freiem Fuß sind und die Besatzung endet, könne auch die Gewalt eingestellt werden, meint der alte Mann und fügt murmelnd hinzu: "Nein, heute ist kein guter Tag."

Ein heftiges Pfeifkonzert, Gedränge und Geschrei setzt ein, als die fünf Busse mit den Häftlingen das Tor zur Mukata passieren. Die Exhäftlinge winken mit Fatah-Tüchern und der Palästinenserflagge, einige drängeln sich aus den schmalen Fensterschlitzen nach draußen, andere bleiben extra noch ein paar Minuten im Bus und genießen den Augenblick. Einer nach dem anderen wird dann in Empfang genommen, geküsst und umarmt, erst von der Mutter, dann von den Freunden, die ihn unter lauten Rufen stolz auf den Schultern über den Platz tragen.

"Dies ist nur die erste Gruppe der entlassenen Häftlinge", kündigt Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, der die palästinensischen Helden vor seinem Amtssitz empfängt, schon die nächste Amnestie an. Gut zehntausend Männer und Frauen sitzen noch hinter israelischen Gittern, fast die Hälfte davon ohne ordentlichen Prozess. Die von Abbas formierte Notstandsregierung forderte offiziell, bei der Amnestie auch Hamas-Häftlinge mit einzubeziehen. Doch Abbas hatte nach dem militärischen Sieg der Islamisten im Gazastreifen selbst Hamas-Milizen und politische Führer festnehmen lassen. Die Fatah fürchtete eine Wiederholung der Kämpfe und eine weitere Niederlage auch im Westjordanland.

Im Gegenzug zu Israels Gesten des guten Willens ordnete Abbas unterdessen die Entwaffnung der Fatah-nahen Al-Aksa-Brigaden an. Mehr als 150 Widerstandskämpfer haben sich bislang zum Gewaltverzicht bekannt. "Was immer der Präsident sagt, machen wir", meint Mutassar Nassan, der schon bei seiner Entlassung eine Gewaltsverzichtserklärung unterzeichnen musste.

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